(Sport-)Schiedsgerichte, Bindung an Art 6 EMRK und Bindungsumfang (5/6)
Im letzten Beitrag wurden die Voraussetzungen vorgestellt, unter denen man wirksam auf die Garantien von Art 6 EMRK verzichten kann. Dieser Beitrag behandelt in weiterer Folge die Frage, ob und, wenn ja, inwiefern Schiedsgerichte an die Teilgarantien von Art 6 EMRK gebunden sind. Für das „Ob“ muss man zunächst zwischen privatautonom eingerichteten Schiedsgerichten und „Zwangsschiedsgerichten“ unterscheiden.
Die Bindung von Zwangsschiedsgerichten
Zwangsschiedsgerichte haben sich vollumfänglich an die in Art 6 Abs 1 EMRK gewährleisteten Grundrechte zu halten, da sie Gerichte iSd Art 6 EMRK sind (unter anderem EGMR 2.10.2018, 40575/10 und 67474/10, Mutu und Pechstein/Schweiz Rz 95). Sie zählen nämlich aufgrund ihrer gesetzlichen Anordnung zur staatlichen Gerichtsbarkeit und werden auch staatliche Sondergerichte bzw Sondertribunale genannt. Fehlt also einer Schiedsvereinbarung die Freiwilligkeit und/oder die Eindeutigkeit, wird das Schiedsgericht als Zwangsschiedsgericht behandelt. Damit gibt es keine Rechtfertigung für eine Einschränkung der durch Art 6 EMRK garantierten Rechte. Dies war bspw bei den Sportlern Claudia Pechstein (fehlende Freiwilligkeit) und Adrian Mutu (fehlende Eindeutigkeit) der Fall; hier wurde der internationale Sportgerichtshof (CAS = Court of Arbitration for Sport) als Zwangsschiedsgericht qualifiziert.
Die Bindung privat vereinbarter Schiedsgerichte
Inwieweit privat vereinbarte (und somit freiwillig sowie eindeutig eingerichtete) Schiedsgerichte sich an Art 6 EMRK halten müssen, wird in der Literatur nicht einheitlich beantwortet. Auch EKMR und EGMR haben darüber noch keine ausdrückliche Auskunft gegeben. Freilich ist es weitgehend unstrittig, dass es sich bei freiwilligen Schiedsgerichten um keine staatlichen, sondern um private nichtstaatliche Einrichtungen handelt. Sollten sie also gegen die EMRK verstoßen, kann dies nicht dem jeweiligen Mitgliedstaat zugerechnet werden. Denn der Anwendungsbereich der EMRK richtet sich lediglich an die Mitgliedstaaten und somit an staatliche Gerichte bzw staatliche Organe. Daher sind freiwillige Schiedsgerichte nicht unmittelbar oder unter analoger Anwendung an die Verpflichtungen der EMRK gebunden.
Private werden durch die EMRK grundsätzlich nicht unmittelbar verpflichtet bzw können Private einander grundsätzlich nicht die Rechte der EMRK entgegenhalten. Doch aus der sog mittelbaren Drittwirkung ergibt sich, dass die Grundrechte der EMRK für private Parteien (bspw Sportler oder Verbände) durchaus beachtlich sind und eine gewisse Bedeutung haben. In der Literatur wird hierbei von einer verfassungsrechtlichen Grundentscheidung gesprochen.
In der mittelbaren Wirkung der Grund- und Menschenrechte der EMRK liegt die Basis für die Bindung der Schiedsgerichte an Art 6 EMRK. Die EMRK kommt dann ins Spiel, wenn eine Verbindung zwischen dem konkreten Schiedsverfahren zu den staatlichen Gerichten hergestellt wird. Zu denken ist hierbei an den Antrag auf Aufhebung eines Schiedsspruchs gemäß § 611 ZPO. Die staatlichen Gerichte verlieren nämlich ihre kontrollierende und unterstützende Funktion durch die Einrichtung eines Schiedsgerichts nicht. Der Kreis wird dadurch geschlossen, dass die staatlichen Gerichte bei der Überprüfung eines Schiedsverfahrens sich ohnehin an die EMRK und ihre Grund- und Menschenrechte halten müssen. So üben sie eine Überwachungsfunktion aus, wobei unter anderem die Grundrechtskonformität des Schiedsverfahrens zu prüfen ist.
Dazu zwei Zitate aus der Literatur: i.) „Durch diese Verknüpfungen von privater und staatlicher Gerichtsbarkeit ergibt sich immerhin eine mittelbare Verpflichtung für Schiedsgerichte. Sie sind gehalten einen Schiedsspruch zu erlassen, dessen Wirksamkeit nicht von einer staatlichen Maßnahme bedroht ist.“ (Ebner/Schneider) und ii.) die dem ordre public zugehörenden Mindestgarantien des Art 6 EMRK seien „„gemeinsamer Nenner“ der Anforderungen an ein faires Verfahren vor einem Spruchkörper mit Streitentscheidungsfunktion, wie dies in den jeweiligen internationalen und nationalen Grundrechten und in einfachgesetzlichen Verfahrensordnungen seinen Ausdruck gefunden hat. Die EMRK hat also für die Tätigkeit des Schiedsgerichts selbst wohl nur – gewissermaßen mittelbar – insofern Bedeutung, als sie zur Konkretisierung dieser Grundsätze herangezogen werden kann.“ (Kodek)
Schiedsgerichte und der Umfang ihrer Bindung an Art 6 EMRK – Grundlagen
Bisher steht fest: i.) ein wirksamer Verzicht auf das Zugangsrecht zu einem staatlichen Gericht ist nur mittels freier, eindeutiger und rechtmäßiger Schiedsvereinbarung möglich, ii.) privat eingerichtete Schiedsgerichte haben (mittelbar bzw durch den ordre public) die Pflicht, sich an die sog Mindestgarantien des Art 6 EMRK zu halten und iii.) Zwangsschiedsgerichte müssen die Garantien des Art 6 EMRK vollends gewährleisten. Nun ist bzgl privatenSchiedsgerichten die Thematik zu klären, ob auf alle Organisations- und Verfahrensgarantien oder etwa bloß auf einzelne Teilgarantien verzichtet werden kann bzw welche im Schiedsverfahren verpflichtend einzuhalten sind.
Die Reichweite des Grundrechtsverzichts
Der Bindungsumfang geht mit der Reichweite des Grundrechtsverzichts einher. Doch ist die Reichweite des Rechtsschutzverzichts nicht eindeutig geklärt. Ein „blanket waiver“ (Pauschalverzicht, Totalverzicht) könne es aber nicht sein. Demnach ist man sich in der Literatur einig, dass die Parteien eines wirksam begründeten Schiedsverfahrens nicht zur Gänze auf die Garantien des Art 6 EMRK verzichten können. Aus der Rsp (EKMR 5.3.1962, 1197/61, X/Deutschland) ergeht, dass der sog partielle Verzicht (= Teilverzicht) jedoch zulässig ist. Einer Schiedsvereinbarung folgt nicht zwingend der Verzicht auf alle Garantien, die Art 6 EMRK gewährleistet. Daraus ergibt sich, dass bestimmte Verfahrensrechte im Schiedsverfahren nicht zwingend zu beachten, andere hingegen von verpflichtender Natur sind. Sowohl EKMR als auch EGMR haben die Unterscheidung zwischen obligatorischen und verzichtsfähigen Garantien bisher noch nicht geklärt. Es geht jedoch um die Frage, inwiefern die Rechte von Art 6 EMRK auf das Schiedsverfahren und dessen Rechtsschutzqualität ausstrahlen bzw, ob bei Mangelhaftigkeit sogar ein unwirksamer Verzicht vorliegen könnte.
In der Literatur wird die Meinung vertreten, dass die Grenzen des Grundrechtsverzichts jedenfalls nur im Einzelfall geprüft werden können. Dennoch seien dabei die Aufhebungsgründe des § 611 Abs 2 ZPO zu beachten, die auf den ersten Blick die Tätigkeit des Schiedsgerichts unter die Lupe nehmen. Im Umkehrschluss seien die Aufhebungsgründe aber die Grenze der Privatautonomie und bilden insofern den Rahmen für den zulässigen Inhalt der Schiedsvereinbarung und den Ablauf des Schiedsverfahrens. Der Aufhebungsantrag stelle das öffentliche Interesse der staatlichen Aufsicht über die Schiedsgerichtsbarkeit durch die ordentlichen Gerichte sicher und die Aufhebungsgründe seien sohin nicht verzichtbar. Das bedeute, dass private Parteien selbst im Zuge der Ausübung ihrer Privatautonomie keine materiell- oder verfahrensrechtliche Vereinbarung wirksam treffen können, die einen der Aufhebungstatbestände des § 611 Abs 2 ZPO realisiert.
Fazit und Ausblick
Zwangsschiedsgerichte sind verpflichtet, sich an Art 6 EMRK (zur Gänze) zu halten; privat vereinbarte Schiedsgerichte sind zumindest mittelbar daran gebunden, wobei hierfür verschiedene Begründungsansätze in der Literatur bestehen. Einen Totalverzicht auf die Organisations- und Verfahrensgarantien des Art 6 EMRK kann man nicht abgeben, doch ist ein Teilverzicht in Hinblick auf die Aufhebungsgründe des § 611 Abs 2 ZPO möglich.
Im letzten Beitrag werden die einzelnen Teilgarantien abgearbeitet und der Umfang des (sinnvollen) Verzichts in der (Sport-)Schiedsgerichtsbarkeit erläutert.
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Der Autor stammt ursprünglich aus Salzburg und hat vor kurzem das Master-Programm Wirtschaftsrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien abgeschlossen. Für LawMeetsSports ist der Amateur-Fußballer als freier Redakteur tätig.