Schlagwortarchiv für: Ad Hoc Schiedsgericht

Der sportrechtliche Jahresrückblick 2022

Der vorliegende Beitrag lässt das sportrechtliche Jahr 2022 nochmals Revue passieren. Ein Jahr, in dem abermals Krisen ihre Spuren hinterließen. Krisen, die rechtliche Fragestellungen in der Sportwelt zutage förderten. Doch auch abseits davon tat sich sportrechtlich einiges. Die folgenden Ausführungen können keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, sollen den Sportrechtsinteressierten aber einen Überblick bieten.

I. Von den Gerichten

Vor Jahren wurde noch kolportiert, dass Streitigkeiten im Sport außerhalb von Gerichtssälen ausgetragen werden. Diese Aussage kann heute keinesfalls mehr aufrechterhalten werden. Wenngleich für rechtliche Problemstellungen im Sport primär die Sportsgerichtsbarkeit vorgesehen ist, werden im Zuge von sportrechtlichen Streitigkeiten zunehmend die staatlichen Gerichte bemüht:

Den Anfang macht die Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in der Causa Pechstein. Kurz zur Vorgeschichte: Claudia Pechstein wurden im Rahmen der Eisschnelllauf-Mehrkampfweltmeisterschaft 2009 im norwegischen Hamar erhöhte Blutwerte nachgewiesen, woraufhin die International Skating Union (ISU) eine zweijährige Sperre wegen Dopings verhängte. Dagegen zog die Deutsche vor den Internationalen Sportgerichtshof (CAS). Ohne Erfolg. Auch vor dem Schweizerischen Bundesgericht war für die Eisschnellläuferin nichts zu holen. Es folgten ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und ein Zivilprozess in Deutschland. Als wäre diese Liste nicht bereits lange genug, hat sich nun auch noch das BVerfG zu Wort gemeldet:

Mit Beschluss vom 3. Juni 2022 (1 BvR 2103/16) hat das BVerfG der Verfassungsbeschwerde von Pechsteinstattgegeben. Das BVerfG ortete in der Entscheidung des deutschen Bundesgerichthofs (BGH), wonachPechsteins Klage wegen einer zugunsten des CAS vereinbarten Schiedsklausel unzulässig sei, eine Verletzung des Justizgewährungsanspruches (Art 2 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 Grundgesetz). Der BGH habe die Bedeutung des Anspruchs auf Öffentlichkeit des Verfahrens verkannt. Die vorgenommene Abwägung zwischen dem Justizgewährungsanspruch und der Vertragsfreiheit sowie der Verbandsautonomie entspreche nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen (für die Kernaussagen des BVerfG siehe unseren Beitrag).

Weiter geht es mit einer Entscheidung der Ad Hoc Division des CAS bei den Olympischen Winterspielen in Peking. Aufgrund dieser Entscheidung war es einer erst 15-jährigen Eiskunstläuferin namens Kamila Valieva – trotz Vorliegen einer positiven Dopingprobe – möglich, an der Kür des olympischen Einzelwettkampfs der Frauen im Eiskunstlauf teilzunehmen. Die Verhinderung der Teilnahme am Wettkampf würde eine irreversible Schädigung der Athletin bedeuten, sodass das Panel der Ad Hoc Division die Aufhebung der vorläufigen Suspendierung nach Durchführung einer Interessensabwägung bestätigte (siehe dazu unseren Beitrag).

Ferner bestätigte der CAS den Ausschluss von russischen Auswahl- und Klubmannschaften von Bewerben der FIFA und UEFA. Die Richter betonten zunächst die unvorhersehbaren und noch nie dagewesenen Umstände, auf welche die FIFA und die UEFA hätten reagieren müssen. Die Sportverbände hätten sodann im Rahmen des ihnen durch ihre Satzungen eingeräumten Ermessensspielraums gehandelt (2022/A/8708 und 2022/A/8709). Über die Sanktionen der Sportverbände gegen Russland haben wir auch mit Professor Orth gesprochen (höre dazu unsere Podcast-Folge).

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte sich auch im abgelaufenen Jahr mit einem spanischen Fußballverein zu beschäftigen. Den Anlass dazu gaben einmal mehr staatliche Beihilfen Spaniens, diesmal zugunsten des FC Valencia. Der EuGH hat das Rechtsmittel der Kommission, welche die Beihilfen mittels Beschluss vom 4. Juli 2016 als rechtswidrig und mit dem Binnenmarkt unvereinbar im Sinne des Art 107 AEUV qualifiziert hat, zurückgewiesen (C-211/20 P).

Apropos EuGH: Dieser hat sich im neuen Jahr mit zwei äußerst brisanten Fällen zu befassen. Die Rede ist von den Rechtssachen „European Superleague Company“ und „International Skating Union/Kommission“. Die Schlussanträge dazu hat Generalanwalt Rantos am 15.12.2022 erstattet. Nach der rechtlichen Einschätzung des Generalanwalts sind die FIFA/UEFA-Regeln, die jeden neuen Wettbewerb von einer vorherigen Genehmigung abhängig machen, mit dem Wettbewerbsrecht der EU vereinbar (siehe dazu unseren Beitrag). In eine ähnliche Kerbe schlagen die Schlussanträge zur „International Skating Union“, in welchen der Generalanwalt die Aufhebung des die Wettbewerbswidrigkeit der Regeln der International Skating Union bestätigenden Urteils des europäischen Gerichts vorschlägt (siehe dazu die Pressemitteilung).

In Österreich hatte sich der Oberste Gerichtshof (OGH) im vergangenen Jahr beispielsweise mit urheberrechtlichen Exklusivlizenzen für Sportübertragungen auseinanderzusetzen (4 Ob 219/21s). Klarstellend hielt er dazu fest, dass die Aufführung von Live-Übertragungen von Spielen der UEFA Champions League vom Medienkonzern Sky (einem Linzer Gastwirt) untersagt werden kann, weil die UEFA dem Konzern für das Lizenzgebiet Österreich die entsprechenden Exklusivrechte eingeräumt hat (siehe dazu unseren Beitrag).

Weitere Entscheidungen des OGH betrafen die Verkehrssicherungspflichten bei Sportveranstaltungen (9 Ob 85/21x), die Aufklärungspflichten eines Sportveranstalters (2 Ob 105/21m sowie 8 Ob 15/22x), den Unfall bei einer Seilschaft (9 Ob 4/22m) sowie Fragen der Wegehalterhaftung im Sinne des § 1319a ABGB nach einem Mountainbike-Unfall (1 Ob 19/22h).

II. Aus dem Parlament

Mit der Professionalisierung und Kommerzialisierung im Sport geht eine Verrechtlichung einher. So treten neben die allseits bekannten (verbandsrechtlichen) Spiel- und Sportregeln zunehmend allgemein gültige Rechtsregeln, die überwiegend die Rahmenbedingungen des sportlichen Systems regeln sollen. Obgleich die Verrechtlichung des Sports bereits weit fortgeschritten ist, gibt es doch noch einiges zu tun, um tatsächlich Rechtssicherheit für die Sportler, Vereine und Verbände zu schaffen.

Der Nationalrat hat am 13. Dezember 2022 eine Erhöhung der Pauschalen Reiseaufwandsentschädigung (kurz: PRAE) beschlossen. Um die ehrenamtliche Tätigkeit zu fördern und dem Umstand der hohen Inflation Rechnung zu tragen, wird die PRAE ab 1. Jänner 2023 von 540 Euro auf 720 Euro erhöht und der Betrag pro Einsatztag verdoppelt (maximal 120 Euro pro Einsatztag). In Regierungskreisen wird die Erhöhung als „Meilenstein“ bezeichnet (so der Vizekanzler). Auch in den Kreisen des organisierten Sports wird überwiegend laut gejubelt (siehe beispielsweise das Statement der Interessenvertretung Sport Austria). Ob die Erhöhung der PRAE tatsächlich nur Anlass zum Jubeln gibt, steht auf einem anderen Blatt und soll hier beiseitegelassen werden.

Davon abgesehen gibt es aus dem österreichischen Parlament wenig zu berichten. Wiewohl sich die Etablierung eines Berufssportgesetzes auch im aktuellen Regierungsprogramm wiederfindet, heißt es weiter: „Bitte warten!“ Gleiches gilt für den eSport. Wie bereits im Jahresrückblick 2021 berichtet, haben Experten im Sommer 2021 gewisse Empfehlungen zur rechtlichen Einordnung an die Politik herangetragen. Seither liegt der Ball beim Gesetzgeber.

Demgegenüber schickt sich die Europäische Union nun an, geeignete Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Entwicklung der eSport- und Gaming-Industrie zu schaffen. Ausgehend von einer umfassenden Studie von Nothelfer/Scholz (Esports – Background Analysis) verabschiedete das Europäische Parlament am 10. November 2022 eine Resolution zu eSport und Gaming (2022/2027[INI]). Wie sich der Prozess nun entwickelt, bleibt abzuwarten.

Von den „ursprünglichen“ Regelsetzern im Sport, die Sportverbände, gibt es hingegen einiges zu berichten: Die neuen Regelungen der Formel-1 (siehe dazu unseren Beitrag), die neuen FIFA-Bestimmungen zur Spielerleihe (siehe dazu hier) und das UEFA-Reglement zur finanziellen Nachhaltigkeit (siehe dazu unseren Beitrag) seien aus der Fülle exemplarisch herausgegriffen.

III. Kurioses

Mitunter ereignen sich auch kuriose Geschichten im Sport(-recht), die in einem Jahresrückblick ebenfalls nicht fehlen dürfen.

Dazu gehört beispielsweise der Fall des französischen Nationalspielers Antoine Griezmann, der zu Beginn der Spielzeit 2022/23 nicht der Startelf von Atlético Madrid angehörte. Der Offensivspieler wurde vielmehr regelmäßig nach einer Stunde eingewechselt. So weit, so gut, darin liegt noch nicht das Kuriosum (gleichwohl Fans des Franzosen unter Umständen das Gegenteil behaupten würden). Kurios wird es spätestens dann, wenn man sich den Hintergrund vergegenwärtigt: Der Leihvertrag soll eine „Kauf“-Verpflichtung in Höhe von 40 Millionen Euro beinhalten, die von der Bedingung abhängig ist, dass der Spieler in 50 % der Pflichtspiele über mindestens 45 Minuten eingesetzt wird (für eine juristische Bewertung siehe den Gastbeitrag von Fischinger/Kolomiyets).

Vielen bleibt gewiss auch das Wechselchaos im Bundesligaspiel zwischen Freiburg und Bayern München in Erinnerung. Aufgrund der Anzeige einer falschen Rückennummer auf der elektronischen Wechseltafel waren auf Seiten der Bayern für knapp 20 Sekunden zwölf – anstatt der erlaubten elf – Spieler auf dem Feld. Daraufhin beeinspruchte der SC Freiburg die Spielwertung der Partie beim DFB-Sportgericht. Dieses sah die Verantwortung für das Wechselchaos aber nicht beim deutschen Rekordmeister, sondern beim Schiedsrichterteam. Der FC Bayern München behielt also die drei Punkte (ausführlich dazu unser Beitrag).

Bleiben wir gleich in der Deutschen Fußball-Bundesliga: Auch ein Torjubel von Anthony Modeste stellte sich durchaus kurios dar. Nach dem Führungstreffer für den 1. FC Köln gegen Arminia Bielefeld hielt Torschütze Anthony Modeste eine Packung seiner eigenen Kaffeemarke in die Kamera. Obwohl der Stürmer keine Verwarnung durch den Schiedsrichter erhielt, untersuchte der Kontrollausschuss des DFB den Vorfall. Anthony Modeste kam schließlich mit einem blauen Auge davon – der DFB-Kontrollausschuss stellte das Verfahren mit Zustimmung des DFB-Sportgerichts ein. Der Fall macht deutlich, dass ein Torjubel sportrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann. Die obligatorische Verwarnung für das Ausziehen des Trikots ist allgemein bekannt. Abgesehen davon stellen sich aber weitere Fragen: Wie ausgelassen darf man jubeln? Wann erhält man eine gelbe Karte? Und in welchen Fällen kann man sogar im Nachhinein gesperrt werden? Hierfür lohnt sich zunächst ein Blick auf Regel 12.3. der Spielregeln des International Football Association Board (IFAB), wobei gewisse Jubel dem Regelhüter einiges an Auslegungsgeschick abverlangt.

Hohe Wellen schlug nicht zuletzt ein Streit in der Schachwelt. Anlass dazu gaben zwei Aufeinandertreffen zwischen dem Schachweltmeister Magnus Carlsen und Hans Moke Niemann. In beiden Duellen hatte der Weltmeister das Nachsehen, wobei er in der zweiten bereits nach einem Zug aufgab. Auf Twitter äußerte er anschließend Betrugsvorwürfe gegen seinen Kontrahenten: „Ich glaube, dass Niemann mehr – auch in letzter Zeit – betrogen hat, als er öffentlich zugegeben hat“. Die Antwort von Hans Moke Niemann in Form einer 100-Millionen-Dollar-Verleumdungsklage ließ nicht lange auf sich warten. Der Fall hat nicht zuletzt eine Debatte über Cheating in der Schachwelt losgetreten (für eine juristische Einordnung siehe Rinteln, SpoPrax 2022/488).

IV. Sonstiges

Der Kollektivertrag für Fußballspieler der der Österreichischen Fußball-Bundesliga gilt als Paradebeispiel einer sportspezifischen Sonderregelung. Darüber sind sich alle Beteiligten einig. Abgeschlossen wurde der Kollektivvertrag bislang zwischen der Österreichischen Fußball-Bundesliga und dem Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB), younion _ Die Daseinsgewerkschaft für die Fachgruppe Vereinigung der Fußballer. Es ist hinlänglich bekannt, dass nunmehr sämtliche Berufsfußballer aus dem ÖGB ausgetreten sind und sich einer neu gegründeten „Spielervereinigung“ angeschlossen haben (dazu etwa hier). Damit drängt sich die Frage auf, wer künftig das Recht hat, den Kollektivertrag für Fußballspieler auf Arbeitnehmerseite abzuschließen (für eine ausführliche Auseinandersetzung siehe unseren Beitrag).

Ein weiteres Erfolgsmodell im österreichischen Fußball ist der sogenannte Österreichertopf. Damit soll der Einsatz österreichischer Spieler in der Fußball-Bundesliga finanziell gefördert werden. Ob die Eingangsthese selbst heute noch Gültigkeit beanspruchen kann, ist fraglich. Denn Medienberichten zufolge verzichtet mittlerweile fast die halbe Liga auf die Förderungen aus dem Topf (siehe dazu etwa folgenden Bericht). Die Gemengelage erinnert den Sportinteressierten höchstwahrscheinlich an die Situation im Handballsport, wo im abgelaufenen Jahr ebenfalls über eine Förderregelung zugunsten österreichischer Spieler diskutiert wurde (dazu hier). Rechtlich ist beiden Systemen gemein, dass sie vor dem Hintergrund des Unionsrechts kaum bestehen können (dazu erscheint in Kürze eine umfassende Fachpublikation im Tagungsband „Sport im Öffentlichen Recht“).

Kurz vor Jahreswechsel ließ die Fußball-Bundesliga mit einer Änderung der Lizenzbestimmungen aufhorchen. Demnach wurde die Förderung des Frauenfußballs und Corporate Social Responsibility-Bestimmungen als verpflichtendes B-Kriterium eingeführt. Ersteres kann „entweder durch eine eigene Mannschaft, eine Kooperation oder durch weitere Maßnahmen erfüllt werden, die den Frauenfußball entsprechend fördern“, teilte die Fußball-Bundesliga in einer ersten Stellungnahme mit. Zweiteres umfasst die verpflichtende Nennung einer verantwortlichen Person für den Bereich „Fußball und soziale Verantwortung“ sowie ein Strategiepapier und Maßnahmen in den Bereichen Gleichstellung und Inklusion, Bekämpfung von Rassismus, Kinder- und Jugendschutz, Fußball für alle (Stichwort: Barrierefreiheit) und Umweltschutz.Außerdem wurde bezüglich der finanziellen Nachhaltigkeit und des beständigen Abbaus von negativem Eigenkapital ein neues C-Kriterium implementiert (für eine generelle Übersicht über das Lizenzverfahren siehe unseren Beitrag).

Für Schlagzeilen sorgte auch der Becherwurf im Oberösterreich-Derby zwischen dem LASK und der SV Ried. Der Vorfall gab Anlass, um über die rechtlichen Implikationen von Fehlverhalten der Fans zu diskutieren. Die zentrale verbandsrechtliche Bestimmung in diesem Dunstkreis ist § 116 Abs 3 ÖFB-Rechtspflegeordnung, die besagt, dass ein Verein für bestimmte Fälle von unangemessenem Verhalten seiner Anhänger zu bestrafen ist, selbst wenn der Verein nachweisen kann, dass ihn bei der Organisation des Spiels kein Verschulden trifft (für eine ausführliche Analyse des Vorfalls höre unsere Podcast-Folge).

Last, but not least ist auch einer der vielen „Nebenschauplätze“ der wohl umstrittensten Fußball-Weltmeisterschaft aller Zeiten zu erwähnen: Kurz vor dem Anpfiff stand die Kapitänsbinde im Fokus (Stichwort: „One Love-Armbinde“). Abermals. Bereits bei der Fußball-Europameisterschaft 2020 gab es Diskussionen über die Binde, die der Kapitän einer Mannschaft als Erkennungszeichen am Oberarm trägt (siehe dazu unseren Beitrag). Wer die Debatte als trivial abstempelt, hat das Problem dahinter nicht verstanden: Es handelt sich um eine Diskussion, die weit über die Sportwelt hinausreicht; es geht um Werte sowie das Verhältnis zwischen Sport und Politik. Dass sich die großen Sportverbände damit schwertun, war in den letzten Jahren nur unschwer zu erkennen. Spätestens bei der Pokalübergabe zeigte sich in diesem Punkt die Doppelmoral des Veranstalters.

V. Ausblick

Ein Streifzug durch das sportrechtliche Jahr 2022 stellt die Vielseitigkeit der Materie Sportrecht einmal mehr unter Beweis. Wir bleiben jedenfalls dran und freuen uns bereits auf ein spannendes Jahr 2023: Wie entscheidet der EuGH die Rechtssachen „European Superleague Company“ und „International Skating Union/Kommission“? Kommen wir dem Berufssportgesetz ein Stück weit näher? Werden die Empfehlungen zur rechtlichen Einordnung des eSports endlich umgesetzt?

Mit diesem Ausblick wünschen wir euch ein gesundes und erfolgreiches neues Jahr! Unsere Neujahrsvorsätze: Content und (dieses Mal wirklich) das ein oder andere LAW MEETS SPORTS-Event – Bleibt am Ball!

Bild: © Shutterstock/Rawpixel.com
Stock-Illustration ID: 196831796

Der Fall Valieva und die Ad Hoc Kammer des Internationalen Sportgerichtshofes

Für großes Aufsehen sorgt in diesen Tagen eine Entscheidung der Ad Hoc Kammer des Internationalen Sportgerichtshofes (Court of Arbitration for Sport – kurz: CAS) bei den Olympischen Winterspielen in Peking.

Kurzum: Die erst 15-jährige Eiskunstläuferin Kamila Valieva (Athletin des Russischen Olympisches Komitee – kurz: ROC) durfte trotz einer positiven Dopingprobe an weiteren Wettkämpfen teilnehmen. Dabei hielt die Ad Hoc Kammer des CAS allerdings fest, dass damit nur der vorläufige Ausschluss der Athletin von den Olympischen Spielen vom Tisch gewesen sei. Ob sie durch die positive A-Probe aber gegen den Welt-Anti-Doping-Code (Details dazu hier) verstoßen hat oder nicht, wird noch ermittelt. Kurios dabei: Einerseits wurde die A-Probe am 25.12.2021 abgegeben, das Ergebnis lag jedoch erst am 8.2.2022, und damit nach dem Sieg des ROC im Mannschaftswettbewerb im Eiskunstlauf, vor. Andererseits wird die Siegerehrung für diesen Bewerb nicht während der Olympischen Winterspiele stattfinden, sondern erst, wenn die Ermittlungen in dieser Causa abgeschlossen sind. Die internationale Presse und die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) kritisierten die Entscheidung des Panels um den Vorsitzenden Fabio Iudica und den Schiedsrichtern Jeffrey Benz und Dr. Vesna Bergant Rakočeviċ. Eine kleine Zusatzinfo: Valieva verpasste am letzten Donnerstag (17.2.2022) den Sprung aufs Podest beim Einzelwettbewerb der Damen und holte nur Blech. So kann diese Siegerehrung wenigstens noch in Peking stattfinden. Wäre Valieva auf dem „Stockerl“ gelandet, hätte auch diese Medaillenvergabe verschoben werden müssen.

Vor diesem Hintergrund stellen sich einige Fragen, darunter etwa: Was ist überhaupt ein Ad Hoc Schiedsgericht des CAS? Wann werden sie eingesetzt? Hier ein kurzer Überblick.

Die Ad Hoc Divisions des CAS

Der International Council of Arbitration for Sport (ICAS), das oberste Organ der CAS-Struktur und hauptsächlich zuständig für die Sicherstellung der Unabhängigkeit der Struktur und der Parteienrechte in den Schiedsverfahren, installierte im Zuge der Vorbereitung für die Olympischen Sommerspiele in Atlanta im Jahr 1996 die erste sog Ad Hoc Division. Deren Aufgabe war es, rechtliche Streitfälle während der Sportveranstaltung in maximal 24 Stunden endgültig zu entscheiden. Um dies zu gewährleisten, waren zwei Co-Präsidenten und 12 Schiedsrichter vor Ort, um im Falle des Falles Schiedspanels einzurichten und rasch (=ad hoc) Entscheidungen zu treffen. Dieses erstmalig eingesetzte (einfache, flexible und kostenlose) Sonderverfahren wurde von Teilnehmern in Atlanta sechs Mal in Anspruch genommen. Da sich der Einsatz der Ad Hoc Division bewährte, kam bei jeder Sommer- und Winterolympiade seit 1996, den Commonwealth Games seit 1998, den Europäischen Meisterschaften der UEFA seit 2000 und dem FIFA World Cup seit 2006 jeweils eine Ad Hoc Kammer zum Einsatz.

Rechtliche Grundlage

In der Schiedsordnung für die Ad-hoc-Abteilung des CAS für die Olympischen Spiele finden sich 23 Artikel, wobei die ersten beiden Artikel dabei die Anwendung der Bestimmungen, die Zuständigkeit des CAS und die Ad Hoc Kammer behandeln.

Artikel 1 – Anwendung der vorliegenden Regeln und Zuständigkeit des CAS

Zweck dieser Regeln ist es, im Interesse der Athleten und des Sports die schiedsrichterliche Beilegung von Streitigkeiten […] zu ermöglichen, soweit sie während der Olympischen Spiele oder während eines Zeitraums von zehn Tagen vor der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele entstanden sind. Wird ein Schiedsverfahren gegen eine Entscheidung des IOC, eines NOC, eines Internationalen Verbandes oder eines Organisationskomitees für die Olympischen Spiele beantragt, so muss der Antragsteller vor Einreichung eines solchen Antrags alle internen Rechtsbehelfe ausgeschöpft haben, die ihm nach den Statuten oder Vorschriften der betreffenden Sportorganisation zur Verfügung stehen, es sei denn, die zur Ausschöpfung der internen Rechtsbehelfe erforderliche Zeit würde die Berufung bei der Ad-hoc-Kammer des CAS rechtfertigen.“

Artikel 2 – Ad Hoc Kammer

Für den in Artikel 1 festgelegten Zeitraum errichtet der ICAS eine Ad-hoc-Kammer des CAS […], deren Aufgabe es ist, die von Artikel 1 erfassten Streitigkeiten durch ein Schiedsverfahren vor Panels beizulegen, die in Übereinstimmung mit den vorliegenden Regeln eingerichtet wurden. Die Ad-hoc-Kammer besteht aus Schiedsrichtern, die auf einer Sonderliste stehen, einem Präsidenten, einem Co-Präsidenten und einem Gerichtsbüro.“

Daneben werden unter anderem explizite Vorgaben über die Liste der Schiedsrichter, die Verfahrenssprache, die Inhaltserfordernisse eines Antrags einer natürlichen oder juristischen Person, die Bildung des jeweiligen Panels, die Unabhängigkeit und Qualifikation sowie die Disqualifikation und Abberufung von Schiedsrichtern, den Verfahrensablauf vor dem eingesetzten Panel, das Zeitlimit für das Panel hinsichtlich der zu treffenden Entscheidung, die sofortige Vollstreckbarkeit und den (grundsätzlichen) Rechtsmittelausschluss getroffen.

Fazit

Die Erfindung der Ad Hoc Kammern bei sportlichen Großereignissen bringt einerseits den Vorteil, dass in rechtlichen Streitigkeiten umgehend eine Entscheidung vorliegt und somit Verzögerungen vermieden werden. Andererseits kann dadurch bei den Schiedsrichtern großer Druck entstehen, dem sie sich aber wohl bereits vorher bewusst waren. Gerade der Fall der Eiskunstläuferin Valieva rückte bei der laufenden Winterolympiade in Peking in das Spotlight der Öffentlichkeit. Die dabei ergangene Entscheidung des zuständigen Panels war für viele unverständlich. ME ist sie aber in Anbetracht des Alters der Athletin, der notwendigen (!) Ermittlungen bezüglich der positiven A-Probe und den Auswirkungen bei einer möglichen (im Nachhinein) falschen Entscheidung durchaus vertretbar. Man stelle sich nur vor, man müsse dem russischen Toptalent im Eiskunstlauf nach Ende der olympischen Spiele erklären, sie wurde zu Unrecht von ihren Wettbewerben ausgeschlossen und sie müsse nun vier Jahre auf die nächste Olympiade warten. Da erscheint das gegenwärtige Ergebnis zwar unorthodox, doch muss ja nur eine Siegerehrung nachgeholt werden…

Bild: © Shutterstock/thodonal88
Stock-Foto ID: 398290300