Der Fall Diarra: Mücke oder Elefant?

Seit zwei Wochen macht der Name eines Ex-Profifußballers in der Medienwelt die Runde, dessen Causa durch ein EuGH-Urteil vom 04.10.2024 (C-650/22) die Transferregelungen der FIFA auf den Kopf stellen könnte. Die Rede ist natürlich von Lassana Diarra, dessen Transferproblematik aus dem Jahr 2014 nun ein ganzes Jahrzehnt später für Furore sorgt und die Vereinbarkeit des FIFA-Reglements bezüglich Status und Transfer von Spielern (franz. RSTJ) mit dem Unionsrecht auf den Prüfstand stellt. Aber wagen wir zunächst einen Schritt zurück zum Ausgangsfall…

Im Hinblick auf das bevorstehende LIVE-Webinar zum EuGH-Urteil Diarra am 21.10.2024 um 18 Uhr, möchte LAW MEETS SPORTS hiermit einen Problemaufriss vermitteln und vorab auf die mit Spannung erwarteten Meinungen des Experten-Trios rund um MMag. Christina Toth, MSc, Dr. Frank Rybak und Prof. Dr. Philipp S. Fischinger, LL.M. (Harvard) verweisen! (Anmeldung siehe unten)

Die Vorgeschichte

Der ehemalige französische Profifußballer Lassana Diarra (39) war in seiner Karrierelaufbahn unter anderem für Top-Klubs wie den FC Chelsea, Real Madrid CF und den FC Paris Saint-Germain aktiv und hing vor fünf Jahren seine Fußballschuhe an den Nagel. Das nunmehr heiß diskutierte Transferdilemma setzt im Jahr 2014 an, als Diarra in Russland bei Lokomotive Moskau unter Vertrag stand. Zu jener Zeit krachte es zwischen dem Spieler und seinem damaligen Trainer Leonid Kuchuk derart, dass der Verein mit Gehaltskürzungen aus disziplinären Gründen reagierte. Dies schmeckte Diarra natürlich nicht, weshalb dieser einseitig das Vertragsverhältnis für beendet ansah. Daraufhin wurde er im Jahr 2015 von der FIFA-Streitschlichtungskammer (CRL) nach Klage von Lokomotive Moskau zu einer satten Entschädigungsleistung in Höhe von 10,5 Millionen Euro verurteilt. Grund dafür war die Vertragsauflösung ohne wichtigen Grund. Diese Entscheidung wurde in weiterer Folge im Jahr 2016 durch den internationalen Sportgerichtshof (CAS) bestätigt.

Diarra forderte daraufhin im Jahr 2015 seinerseits eine Entschädigungsleistung in Höhe von 6 Millionen Euro von der FIFA und dem belgischen Fußballverband (URBSFA) aufgrund deren Fehlverhalten in der Transfercausa, die ihm einen Schaden verursachten (siehe sogleich). Vom belgischen Handelsgericht wanderte der Fall Diarra im Instanzenzug weiter zur Cour d’appel de Mons (belgisches Berufungsgericht) und landete schlussendlich in einem Vorabentscheidungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH).

Auf den Spuren des Bosman-Urteils

Konkret ging es im Vorabentscheidungsersuchen um die Frage, ob die Transferregelungen der FIFA gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 AEUV und das Kartellverbot nach Art. 101 AEUV auf unionsrechtlicher Ebene verstoßen. Schon nach den gegenständlichen Äußerungen des Generalanwalts war in Erwartung des Urteils für Sportrechtsinteressierte ersichtlich, dass die einschränkenden Bestimmungen Konsequenzen für den Weltfußballverband bedeuten könnten.

Hierbei ist besonders erwähnenswert, dass erstmals seit dem Bosman-Urteil (C-415/93) aus dem Jahr 1995 wieder Bewegung in die Transfergegebenheiten der FIFA kommen könnte. Damals wurden die Ablösesummen nach Vertragsende und die Beschränkung auf eine bestimmte Anzahl an ausländischen Spielern innerhalb eines Vereins für unzulässig erachtet. Die aktuelle Causa ist dahingehend ähnlich gewichtet, als sie wiederum auf das FIFA-Reglement bezüglich Status und Transfer von Spielern (franz. RSTJ) Bezug und dabei insbesondere Art. 17 RSTJ unter die Lupe nimmt. Diese Bestimmung regelt die Folgen einer Vertragsauflösung ohne wichtigen Grund, wie dies bei Lassana Diarra geschehen ist.

Es wird darin festgehalten, dass eine Entschädigung an den alten Verein zu leisten ist und zudem neben dem Berufsspieler ein neuer Verein gesamtschuldnerisch für die Zahlung zu haften hat. Zusätzlich wird nach Art. 17 Abs 4 RSTJ vermutet, dass der neue Verein, sofern nicht das Gegenteil bewiesen wird, den Berufsspieler zur einseitigen Vertragsauflösung angestiftet hat. Dies zieht vor allem neben der finanziellen Belastung eines neuen Vereins auch sportliche Sanktionen mit sich, die sich in einem zweijährigen Registrierungsverbot für neue Spieler beim Verein äußern, der nach der verankerten Vermutungsregel den Vertragsbruch angestiftet haben soll.

Anhand dieser schwerwiegenden Folgen wird klar, inwiefern Diarras Suche nach einem neuen Verein, der ihn nach dem Transferdilemma mit Lokomotive Moskau unter Vertrag nimmt, erheblich erschwert wurde und jene problematisch hinsichtlich der unionsrechtlichen Vorschriften sind. Das EuGH-Urteil vom 04.10.2024 (C-650/22) bestätigte diese mögliche Unvereinbarkeit der FIFA-Transferregeln mit dem Unionsrecht. Er verlautbarte im Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV, dass die Bestimmungen gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit verstoßen und eine Wettbewerbsbeschränkung erzielen könnten. Doch was bedeutet dies nun für die FIFA und den Transfermarkt?

Ein erster Blick in die Glaskugel

Hinsichtlich der Schadenersatzleistung in Höhe von 6 Millionen Euro an Lassana Diarra wird der Ball nun nach Beantwortung der Vorabentscheidungsfrage wiederum an das belgische Gericht zurückgespielt, das darüber entscheiden wird. Interessanter ist aus einem fußballspezifischen Blickwinkel eher, welchen Einfluss dieses EuGH-Urteil nun auf die FIFA und deren Transferbestimmungen nehmen wird.

Einem Medienbericht zufolge zeigt sich die FIFA nun bereit, die Regelungen in den RSTJ entsprechend anzupassen und derart zu gestalten, dass diese mit dem Unionsrecht vereinbar sind. Ob die EuGH-Entscheidung ähnlich große Wellen schlägt wie einst bei Bosman, stellt sich zum aktuellen Zeitpunkt als eher unwahrscheinlich dar. Es bleibt demnach abzuwarten, ob hier aus einer Mücke ein Elefant gemacht wird. Auswirkungen werden sich aber definitiv hinsichtlich der unverhältnismäßigen Strafzahlungen, der benachteiligenden Vermutungsregel und auch der verhängten Registrierungsverbote zeigen, wo es seitens der FIFA nun jedenfalls Handlungsbedarf gibt, um nicht ein weiteres Gegentor durch den EuGH zu kassieren.


Wer nun mehr über mögliche Entwicklungen nach dem EuGH-Urteil rund um Lassana Diarra erfahren möchte, darf hiermit auf das LIVE-Webinar am kommenden Montag, den 21.10.2024 um 18 Uhr hingewiesen werden!

Mehr Infos:

LIVE-Webinar zum EuGH-Urteil Diarra

Revolution des Transferrechts oder Sturm im Wasserglas?

Wann: 21.10.2024 – 18 Uhr

Wo: Online via Zoom

Die Experten:
MMag. Christina Toth, MSc, Rechtsanwältin, Wien
Dr. Frank Rybak, Fachanwalt für Sportrecht, Northeim
Prof. Dr. Philipp S. Fischinger, LL.M. (Harvard), Universität Mannheim

Für die Teilnahme ist eine Registrierung erforderlich!


Bild: © Shutterstock/Ugis Riba
Stock-Foto ID: 283489238

Europäische Sportgerichtsbarkeit im Fokus

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) setzte sich in seinem Urteil vom 21. Dezember 2023, Rs C-124/21 P (International Skating Union/Kommission), einerseits mit von der ISU erlassenen Regeln für die vorherige Genehmigung und die Zulassung von (Konkurrenz-)Wettbewerben und andererseits mit der „exklusiven Schiedsvereinbarung“ zugunsten des Internationalen Sportgerichtshofs (Court of Arbitration for Sport – CAS) mit Sitz in Lausanne (Schweiz) auseinander. Er betonte, dass Vorschriften wie die Regeln für die vorherige Genehmigung und die Zulassung einer wirksamen, gerichtlichen Kontrolle unterliegen müssen.

Der vorliegende Beitrag befasst sich mit der Frage, inwieweit diese EuGH-Entscheidung Auswirkungen auf die europäische Sportgerichtsbarkeit haben kann.

I. Zum Anlassfall: International Skating Union/Kommission

Die ISU ist ein Verein mit Sitz in Lausanne (Schweiz). Der ISU gehören nationale Eiskunstlauf- und Eisschnelllaufverbände an, denen ihrerseits Verbände und Vereine angeschlossen sind, zu deren Mitgliedern vor allem professionelle Sportler:innen gehören. Die ISU ist insbesondere Veranstalterin von internationalen Eislauf-Wettbewerben. Im Jahr 2015 veröffentlichte die ISU u.a. Vorschriften über die vorherige Genehmigung von Eislaufwettbewerben, die von Dritten (als Alternativwettbewerben zu denen der ISU) veranstaltet werden.

Zudem befasste sich der EuGH mit der exklusiven Schiedsvereinbarung der ISU. Nach dieser sind Sportler:innen verpflichtet, Streitigkeiten mit der ISU vor dem CAS auszutragen. Exemplarisch soll hier ein Ausschnitt der Schiedsklausel der ISU angeführt werden (Constitution and General Regulations 2022, V. Arbitration, Article 26, 1. Appeals):

„Appeals against decisions of the DC, and of the Council when allowed by explicit provision of this Constitution, may be filed with the Appeals Arbitration Division of the Court of Arbitration for Sport (CAS), Lausanne, Switzerland.”

Wie allseits bekannt ist, nimmt der Sport in vielerlei Hinsicht (sowohl national als auch international) eine besondere Stellung ein – nicht zuletzt im Bereich der Gerichtsbarkeit. Für gewöhnlich unterwerfen sich Sportler:innen durch exklusive Schiedsvereinbarungen der Zuständigkeit des CAS. Vereine und Verbände zwingen Sportler:innen diese Exklusivität de facto auf, weil Sportler:innen die Vereinbarungen in den Verbandsregularien akzeptieren müssen, um an Wettbewerben teilnehmen zu können. Im Anlassfall bestätigte der EuGH erneut, dass die (exklusive) Schiedsgerichtsbarkeit zur Streitbeilegung an sich geeignet ist.

Zur Erinnerung: Gegen Entscheidungen des CAS kann beim Schweizerischen Bundesgericht berufen werden. Dessen Entscheidungen unterliegen allerdings keinem weiteren Rechtsweg. Das Schweizerische Bundesgericht fungiert „in der Sportgerichtsbarkeit“ demnach als letztinstanzliches Gericht. Auch für diese Regelung findet sich eine Bestimmung in den Statuten der ISU (Constitution and General Regulations 2022, V. Arbitration, Article 26, 5. Finality of Decisions):

„Decisions of the CAS shall be final and binding to the exclusion of jurisdiction of any civil court. This is without prejudice to the right of appeal before the Swiss Federal Tribunal in accordance with Swiss law and the right to challenge the enforcement or recognition of an award on grounds of public policy in accordance with any applicable national procedural laws.”

Doch wie lässt sich dieses System mit den Rechtsschutzmechanismen der Europäischen Union in Einklang bringen?

II. Einschub: Rechtsschutz der Europäischen Union

Durch die Zusammenarbeit zwischen den nationalen „Gerichten“ und dem EuGH kann die Wahrung der Einheitlichkeit des Unionsrechts gewährleistet werden. Als wesentliches Instrument fungiert das Vorabentscheidungsverfahren (Art 267 AEUV). Vereinfacht gesagt, sollen dadurch nationale Richter:innen (der Mitgliedstaaten) die Möglichkeit (in manchen Fällen auch die Pflicht) haben, bei entscheidungserheblichen Fragen des Unionsrechts den EuGH, um Hilfe zu bitten. Damit soll einerseits verhindert werden, dass Unionsrecht in den Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgelegt wird und andererseits wird damit ein wirksamer gerichtlicher Rechtsschutz gewährleistet. Das Auslegungsmonopol in unionsrechtlichen Fragen bleibt insofern dem EuGH vorbehalten.

Im vorliegenden Kontext ist insbesondere die Auslegung des Begriffes des „Gerichts“ im Sinne des Unionsrechts, welches berechtigt (oder verpflichtet) sein kann, den EuGH anzurufen, von Bedeutung. Es handelt sich um einen autonomen „Gerichts“-Begriff, der sich von dem uns – nach innerstaatlichem Recht – bekannten Begriff des B-VG unterscheidet. Der Begriff des Art 267 AEUV beinhaltet sowohl organisatorische (gesetzliche Grundlage der Einrichtung, ständiger Charakter, obligatorische Zuständigkeit, streitiges Verfahren, Anwendung von Rechtsnormen und Unabhängigkeit der Richter:innen) als auch funktionelle Komponenten (Anhängigkeit eines Rechtsstreits und Entscheidung im Rahmen eines Verfahrens, das in einer Entscheidung mit Rechtsprechungscharakter mündet).

In Österreich erfüllen die obersten Gerichte (VfGH, VwGH und OGH), die ordentlichen Gerichte, die Verwaltungsgerichte und diverse Verwaltungsbehörden, wenn sie Rechtsprechungstätigkeiten ausüben, diese Voraussetzungen. Sie können (bzw müssen) bei unionsrechtlichen Fragen den EuGH anrufen.

Am 7. Mai 2024 entschied der EuGH in einer weiteren Causa (Rs C-115/22), dass die österreichische Unabhängige Schiedskommission (USK), welche für die Überprüfung der Entscheidungen der Österreichischen Anti-Doping Rechtskommission (ÖADR) in Anti-Doping-Verfahren zuständig ist, nicht als „Gericht“ im Sinne des Art 267 AEUV einzustufen sei. Es fehle ihr am notwendigen Unabhängigkeitskriterium, so der EuGH. Die Mitglieder der USK können vom Bundesminister für Sport „aus wichtigen Gründen“ vorzeitig abbestellt werden, ohne dass diese Gründe im nationalen Recht definiert sind. Deshalb kann nicht gewährleistet werden, dass die Mitglieder der USK vor unmittelbarem oder mittelbarem Druck von außen, der Zweifel an ihrer Unabhängigkeit aufkommen lassen könnte, geschützt sind. Daraus folgt, dass die USK nicht als „Gericht“ im unionsrechtlichen Sinne angesehen werden kann (mehr dazu in einem zukünftigen Beitrag).

III. Bewertung des Anlassfalls

Das Konstrukt des Vorabentscheidungsverfahrens soll einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz und die Einheitlichkeit des Unionsrechts gewähren. Fraglich ist jedoch, wie eine Entscheidung eines Schiedsgerichts (CAS) aus einem Drittstaat (Schweiz), welche nur von einem Gericht eines Drittstaates (Schweizerisches Bundesgericht) überprüft werden kann, einzuordnen ist, wenn Unionsrecht betroffen ist.

Wie bereits erläutert, sind weder der CAS noch das Schweizerische Bundesgericht dem EuGH zur Vorlage verpflichtet, weil sie in der Schweiz liegen. So der EuGH in der diskutierten Entscheidung (Rz 223):

Außerdem sei das Bundesgericht kein Gericht eines Mitgliedstaats, sondern ein Gericht außerhalb des Gerichtssystems der Union, das nicht befugt sei, dem Gerichtshof hierzu eine Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen.”

Darüber hinaus sprach der EuGH bereits in älteren Entscheidungen (Rs 102/81, Rs C-125/04) aus, dass Schiedsgerichte, die auf Grundlage einer privatrechtlichen Vereinbarung eingerichtet sind, nicht das Kriterium der obligatorischen Zuständigkeit erfüllen. Deshalb sind Schiedsgerichte wie der CAS nicht als „Gerichte“ im Sinne des Unionsrechts anzusehen. Sie erfüllen nicht die Voraussetzungen des Art 267 AEUV.

Zusätzlich äußerte der EuGH Bedenken bezüglich der Exklusivität der Sportgerichtsbarkeit. Sportler:innen kann durch das „Nicht-Erreichen“ des EuGH der gerichtlich wirksame Rechtsschutz, welcher durch ein Vorabentscheidungsverfahren (Art 267 AEUV) gewährleistet werden soll, genommen werden. Auch diesbezüglich ist auf den genauen Wortlaut des EuGH (Rz 223) zu verweisen:

Schließlich hätten die Sportler nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts praktisch keine andere Wahl, als zu akzeptieren, dass die Streitigkeiten zwischen ihnen und der ISU dem CAS unterbreitet würden, es sei denn, sie verzichten auf die Teilnahme an allen Wettbewerben, die von der ISU oder den ihr angehörenden nationalen Eislaufverbänden veranstaltet würden, mithin letztlich auf die Ausübung ihres Berufs.

IV. Ausblick

Der Anlassfall zeigt, dass der Instanzenzug zum EuGH in sportrechtlichen Fällen – trotz eröffnetem Anwendungsbereich des Unionsrechts – nicht immer möglich ist. Das ist für Sportler:innen freilich unbefriedigend. Ob die (europäische) Sportgerichtsbarkeit zukünftig anders ausgestaltet wird, lässt sich zum aktuellen Zeitpunkt aber noch nicht sagen.

Es scheint eher unrealistisch, dass sich die Institution des CAS in einen EU-Mitgliedstaat verlegen lassen wird. Als wahrscheinlicher ist mE eine Änderung des Instanzenzuges einzustufen. Es könnte zu einer „Kompromisslösung“ zwischen dem CAS, dem Schweizerischen Bundesgericht und dem EuGH kommen. Demnach wäre etwa eine Sonderregel, welche die Überprüfung von Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgericht in sportrechtlichen Fällen mit unionsrechtlichem Bezug betrifft, denkbar. Feststeht jedenfalls, dass der organisierte Sport eine zukunftsorientiere Lösung, die den Leitplanken des EuGH entspricht, finden muss.

Es bleibt demnach mit Spannung abzuwarten, ob und wie sich die (europäische) Sportgerichtsbarkeit entwickeln wird.

Bild: © Shutterstock/thodonal88

C-333/21 – ein Game Changer?

C-333/21 hat das Zeug zum großen Wurf, C-333/21 hat das Zeug zum Umbruch eines Systems, C-333/21 hat das Zeug zum Game-Changer. Aber was ist eigentlich C-333/21?

Gestern Vormittag wurde offiziell bestätigt, was für viele bereits absehbar war: Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) gab bekannt, ein Vorabentscheidungsersuchen in der Causa „Super League“ erhalten zu haben. So verlautbarte das Höchstgericht via Twitter: „#ECJ: European Super League claims @UEFA / @FIFAcom in violation of EU Competition rules in a reference from Madrid Court #football #EuropeanSuperLeague (C-333/21)“. C-333/21 ist also das Aktenzeichen. Ein Aktenzeichen, welches das Potenzial hat, an den sportrechtlichen Grundstrukturen zu rütteln.

Worum geht’s?

Wir erinnern uns noch gut an die Szenen nach der Ankündigung der Gründung einer europäischen Super League (siehe dazu unseren Beitrag). Es waren zwei Tage im April, die wohl jedem Fußballfan in Erinnerung bleiben werden. Die Ereignisse überschlugen sich stündlich. Aber der Reihe nach: In der Nacht vom 18. auf den 19. April verlautbarten die „Big Six“ aus England (Arsenal FC, Chelsea FC, Liverpool FC, Manchester City, Manchester United und Tottenham Hotspur) sowie drei Spitzenvereine aus Spanien (Atlético de Madrid, FC Barcelona und Real Madrid CF) und aus Italien (AC Milan, FC Internazionale Milano und Juventus FC) die Gründung einer europäischen Super League. Was darauf folgte, ist hinlänglich bekannt. Mediale Empörung, Fanproteste und ein Rückzug nach dem anderen. Und nach nicht einmal 48 Stunden schien das Projekt auch schon wieder der Geschichte anzugehören. So zogen sich zuerst die sechs englischen Vereine zurück, ehe ihnen zeitnah nahezu alle anderen Vereine folgten – Ausnahme: FC Barcelona, Real Madrid CF und Juventus FC (gegen die „Abtrünnigen“ wurde indes ein Disziplinarverfahren eröffnet). Viel Lärm um nichts?

Unabhängig der persönlichen Einstellung zum sportlichen Mehrwert eines solchen Wettbewerbs, machen spannende Rechtsfragen die Befassung mit dem Thema durchaus lohnend. Für die Sportrechtswissenschaft könnte die Causa also ihren Nutzen haben. Die Vereinbarkeit der Monopolstellung von Spitzenverbänden (zB FIFA oder UEFA) mit dem Wettbewerbsrecht der EU war bereits Gegenstand einiger juristischer Abhandlungen. Eine klare Antwort des EuGH ist noch ausständig.

EuGH greift den Ball „Super League“ auf

Eine solche könnte C-333/21 liefern. Denn: Ein Madrider Gericht hat den EuGH um eine Vorabentscheidung ersucht. Die konkrete Vorlagefrage ist der Öffentlichkeit (soweit ersichtlich) bislang nicht bekannt. Medienberichten zufolge will das spanische Gericht – vereinfacht gesagt – wissen, ob die FIFA und UEFA Monopolstellungen ausüben, die gegen das Wettbewerbsrecht der EU verstoßen. Dass es sich bei den Spitzenverbänden um Monopolisten handelt, wird vor dem Hintergrund der hierarchisch-organisierten Verbandspyramide und des Ein-Platz-Prinzips wohl kaum jemand (ernsthaft) bestreiten. Fraglich ist jedoch, ob diese Monopolstellung bzw. der vorgeworfene Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung iSd AEUV gerechtfertigt werden kann. Das hat nun der EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens zu beurteilen.

Das Vorabentscheidungsverfahren ist ein Verfahren, in welchem der EuGH auf Vorlage eines Gerichts eines Mitgliedstaats über die Auslegung des Unionsrechts entscheidet (Art 267 AEUV). Die Entscheidungen des EuGH sind für die mitgliedsstaatlichen Gerichten bindend. Dadurch soll in den Mitgliedstaaten eine einheitliche Anwendung und Auslegung des Unionsrechts sichergestellt werden.

Die UEFA hat bereits Stellung genommen: Sie sei überzeugt von ihrer Position, die sie „robust verteidigen“ werde (Statement auf Twitter). Einem juristischen Schlagabtausch steht somit nichts mehr im Wege.

C-333/21 – Game Changer oder Show Stopper?

Ob C-333/21 tatsächlich ein Game Changer wird, bleibt abzuwarten. Das Potenzial bestünde jedenfalls. Es kann freilich auch anders kommen. Zuletzt hat der EuGH die Stellung des Unionsrechts im Fall der Kollision mit der sportlichen Autonomie betont; so erachtete der Gerichtshof den teilweisen Ausschluss von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten von den deutschen Leichtathletikmeisterschaften der Senioren im Amateursport als einen Verstoß gegen Unionsrecht (Rs TopFit und Biffi). Auch das Europäische Gericht (EuG) schlug unlängst in eine ähnliche Kerbe: In der Causa International Skating Union (ISU) wurde im Dezember 2020 entschieden, dass die Regeln der ISU, wonach Sportler für die Teilnahme an externen Wettbewerben mit harten Sanktionen belegt werden können, gegen die Wettbewerbsregeln der Union verstoßen (Rs International Skating Union/Kommission). Ist daraus bereits eine Tendenz ableitbar? Die Entscheidung in der Causa Super League bleibt mit Spannung abzuwarten. Sie könnte an den sportrechtlichen Grundstrukturen rütteln. LAW MEETS SPORTS bleibt am Ball…

Bild: © Shutterstock/thodonal88
Stock-Foto ID: 398290300

Im Fokus: Die 2/3-Regelung – Teil 2/2

Die 2/3-Regelung im Fußball ist durch die lebhafte Debatte der vergangenen Monate nahezu jedem Sportinteressierten ein Begriff. Im nachfolgenden Teil 2 unserer Beitragsreihe (Teil 1) soll diese Thematik nochmals aus juristischer Sicht beleuchtet werden.

Vereinbarkeit mit der europarechtlichen Arbeitnehmerfreizügigkeit

Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer ist in Art 45 AEUV geregelt und umfasst, die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen. In der Rechtssache Bosman bejahte der Europäische Gerichtshof (EuGH) sowohl die Arbeitnehmereigenschaft von Profifußballern als auch die Anwendbarkeit der Freizügigkeit auf durch Sportverbände aufgestellte Regeln. Dabei führte er vor allem aus, dass es sich bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit um einen der fundamentalsten Grundsätze der Europäischen Union handelt und dieser daher auch unmittelbar gilt (Drittwirkung entfaltet). Dies soll verhindern, dass Beschränkungen, welche den Mitgliedstaaten untersagt sind, durch Handlungen Privater (hier Vereine) in Ausnutzung ihrer Satzungsautonomie errichtet werden.

Die 2/3-Regelung stellt eine Beeinträchtigung der Arbeitnehmerfreizügigkeit dar, da sie die Spieler daran hindert oder davon abhält, ihre Vereine zu verlassen, um ihre Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat auszuüben. Es liegt eine nicht diskriminierende Beschränkung (unterschiedslos anwendbare Maßnahme) vor, wobei es dem EuGH zufolge keine Rolle spielt, dass diese Regelung nicht direkt die Beschäftigung des Spielers betrifft, sondern lediglich die Möglichkeit des Spielers, bei einem offiziellen Spiel aufgestellt zu werden. Aber gerade die Teilnahme an diesen offiziellen Bewerbsspielen stellt das wesentliche Ziel eines Berufsspielers dar, wodurch es auf der Hand liegt, dass eine Regelung, die diese Teilnahme beschränkt, auch die Beschäftigungsmöglichkeit einschränkt.

Sachliche Rechtfertigung?

Fraglich ist jedoch, ob diese Beschränkung des Freizügigkeitsrechts sachlich gerechtfertigt werden kann? Grundsätzlich können Transferregeln trotz des Verstoßes gegen Art 45 AEUV durch die Sonderstellung des Sports gerechtfertigt sein, sollten sie tatsächlich zur Erreichung eines Allgemeininteresses geeignet, erforderlich und adäquat sein. Eine Beschränkung könnte durch die geschriebenen Ausnahmen in Art 45 Abs 3 AEUV (ordre public), zwingende Gründe des Allgemeininteresses und jedes überwiegende Gemeinwohlinteresse gerechtfertigt werden. Dabei sind auch die Unionsgrundrechte, das Primär- und Sekundärrecht als Schranken-Schranken sowie eine allfällige Verhältnismäßigkeitsprüfung zu beachten.

Der Zweck der 2/3-Regelung ist es, ein gewisses Maß an Flexibilität bei der Planung der sportlichen Tätigkeit sowohl für die Spieler als auch die Klubs zu gewährleisten. Außerdem könnte, wie in der Rechtssache Lehtonen, der geordnete Ablauf von Wettkämpfen und die Vergleichbarkeit der Ergebnisse, als Argument vorgebracht werden. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass die Integrität des Wettbewerbs auch ohne die 2/3-Regelung gewährleistet wird. Auf der anderen Seite sprechen einige Argumente gegen eine sachliche Rechtfertigung der Regelung. Als Schranken-Schranken ist das Grundrecht auf Erwerbsfreiheit (Art 15 GRC) zu nennen. Dieses ist ein besonders schützenswertes Grundrecht. Da ein Spieler auch nicht ewig als Profi tätig sein kann, wäre eine „Wartezeit“ von einem halben Jahr im Hinblick auf die Gesamtdauer einer Profikarriere und somit die sportliche Lebenserwartung des Spielers, meiner Meinung nach unverhältnismäßig. Auch die Qualität und der Marktwert des Spielers würden dadurch sinken.

Folglich liegt kein zulässiger sachlicher Rechtfertigungsgrund für die Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit vor. Zudem überwiegen die Interessen des einzelnen Profis (vor allem die Erwerbsfreiheit) deutlich. Daher wäre die 2/3-Regelung auch im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung, bezüglich der Eignung und Erforderlichkeit, zu beanstanden. Im Ergebnis stellt die 2/3-Regelung mangels sachlicher Rechtfertigungsgründe eine unzulässige Beschränkung der europarechtlichen Arbeitnehmerfreizügigkeit dar, wodurch eine Anpassung des jetzigen FIFA-Transferreglement erforderlich ist. Eine möglichst zeitnahe Reform wäre zu begrüßen.

Bild: © Shutterstock/Stokkete
Stock-Foto ID: 270607577