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Europäische Sportgerichtsbarkeit im Fokus

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) setzte sich in seinem Urteil vom 21. Dezember 2023, Rs C-124/21 P (International Skating Union/Kommission), einerseits mit von der ISU erlassenen Regeln für die vorherige Genehmigung und die Zulassung von (Konkurrenz-)Wettbewerben und andererseits mit der „exklusiven Schiedsvereinbarung“ zugunsten des Internationalen Sportgerichtshofs (Court of Arbitration for Sport – CAS) mit Sitz in Lausanne (Schweiz) auseinander. Er betonte, dass Vorschriften wie die Regeln für die vorherige Genehmigung und die Zulassung einer wirksamen, gerichtlichen Kontrolle unterliegen müssen.

Der vorliegende Beitrag befasst sich mit der Frage, inwieweit diese EuGH-Entscheidung Auswirkungen auf die europäische Sportgerichtsbarkeit haben kann.

I. Zum Anlassfall: International Skating Union/Kommission

Die ISU ist ein Verein mit Sitz in Lausanne (Schweiz). Der ISU gehören nationale Eiskunstlauf- und Eisschnelllaufverbände an, denen ihrerseits Verbände und Vereine angeschlossen sind, zu deren Mitgliedern vor allem professionelle Sportler:innen gehören. Die ISU ist insbesondere Veranstalterin von internationalen Eislauf-Wettbewerben. Im Jahr 2015 veröffentlichte die ISU u.a. Vorschriften über die vorherige Genehmigung von Eislaufwettbewerben, die von Dritten (als Alternativwettbewerben zu denen der ISU) veranstaltet werden.

Zudem befasste sich der EuGH mit der exklusiven Schiedsvereinbarung der ISU. Nach dieser sind Sportler:innen verpflichtet, Streitigkeiten mit der ISU vor dem CAS auszutragen. Exemplarisch soll hier ein Ausschnitt der Schiedsklausel der ISU angeführt werden (Constitution and General Regulations 2022, V. Arbitration, Article 26, 1. Appeals):

„Appeals against decisions of the DC, and of the Council when allowed by explicit provision of this Constitution, may be filed with the Appeals Arbitration Division of the Court of Arbitration for Sport (CAS), Lausanne, Switzerland.”

Wie allseits bekannt ist, nimmt der Sport in vielerlei Hinsicht (sowohl national als auch international) eine besondere Stellung ein – nicht zuletzt im Bereich der Gerichtsbarkeit. Für gewöhnlich unterwerfen sich Sportler:innen durch exklusive Schiedsvereinbarungen der Zuständigkeit des CAS. Vereine und Verbände zwingen Sportler:innen diese Exklusivität de facto auf, weil Sportler:innen die Vereinbarungen in den Verbandsregularien akzeptieren müssen, um an Wettbewerben teilnehmen zu können. Im Anlassfall bestätigte der EuGH erneut, dass die (exklusive) Schiedsgerichtsbarkeit zur Streitbeilegung an sich geeignet ist.

Zur Erinnerung: Gegen Entscheidungen des CAS kann beim Schweizerischen Bundesgericht berufen werden. Dessen Entscheidungen unterliegen allerdings keinem weiteren Rechtsweg. Das Schweizerische Bundesgericht fungiert „in der Sportgerichtsbarkeit“ demnach als letztinstanzliches Gericht. Auch für diese Regelung findet sich eine Bestimmung in den Statuten der ISU (Constitution and General Regulations 2022, V. Arbitration, Article 26, 5. Finality of Decisions):

„Decisions of the CAS shall be final and binding to the exclusion of jurisdiction of any civil court. This is without prejudice to the right of appeal before the Swiss Federal Tribunal in accordance with Swiss law and the right to challenge the enforcement or recognition of an award on grounds of public policy in accordance with any applicable national procedural laws.”

Doch wie lässt sich dieses System mit den Rechtsschutzmechanismen der Europäischen Union in Einklang bringen?

II. Einschub: Rechtsschutz der Europäischen Union

Durch die Zusammenarbeit zwischen den nationalen „Gerichten“ und dem EuGH kann die Wahrung der Einheitlichkeit des Unionsrechts gewährleistet werden. Als wesentliches Instrument fungiert das Vorabentscheidungsverfahren (Art 267 AEUV). Vereinfacht gesagt, sollen dadurch nationale Richter:innen (der Mitgliedstaaten) die Möglichkeit (in manchen Fällen auch die Pflicht) haben, bei entscheidungserheblichen Fragen des Unionsrechts den EuGH, um Hilfe zu bitten. Damit soll einerseits verhindert werden, dass Unionsrecht in den Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgelegt wird und andererseits wird damit ein wirksamer gerichtlicher Rechtsschutz gewährleistet. Das Auslegungsmonopol in unionsrechtlichen Fragen bleibt insofern dem EuGH vorbehalten.

Im vorliegenden Kontext ist insbesondere die Auslegung des Begriffes des „Gerichts“ im Sinne des Unionsrechts, welches berechtigt (oder verpflichtet) sein kann, den EuGH anzurufen, von Bedeutung. Es handelt sich um einen autonomen „Gerichts“-Begriff, der sich von dem uns – nach innerstaatlichem Recht – bekannten Begriff des B-VG unterscheidet. Der Begriff des Art 267 AEUV beinhaltet sowohl organisatorische (gesetzliche Grundlage der Einrichtung, ständiger Charakter, obligatorische Zuständigkeit, streitiges Verfahren, Anwendung von Rechtsnormen und Unabhängigkeit der Richter:innen) als auch funktionelle Komponenten (Anhängigkeit eines Rechtsstreits und Entscheidung im Rahmen eines Verfahrens, das in einer Entscheidung mit Rechtsprechungscharakter mündet).

In Österreich erfüllen die obersten Gerichte (VfGH, VwGH und OGH), die ordentlichen Gerichte, die Verwaltungsgerichte und diverse Verwaltungsbehörden, wenn sie Rechtsprechungstätigkeiten ausüben, diese Voraussetzungen. Sie können (bzw müssen) bei unionsrechtlichen Fragen den EuGH anrufen.

Am 7. Mai 2024 entschied der EuGH in einer weiteren Causa (Rs C-115/22), dass die österreichische Unabhängige Schiedskommission (USK), welche für die Überprüfung der Entscheidungen der Österreichischen Anti-Doping Rechtskommission (ÖADR) in Anti-Doping-Verfahren zuständig ist, nicht als „Gericht“ im Sinne des Art 267 AEUV einzustufen sei. Es fehle ihr am notwendigen Unabhängigkeitskriterium, so der EuGH. Die Mitglieder der USK können vom Bundesminister für Sport „aus wichtigen Gründen“ vorzeitig abbestellt werden, ohne dass diese Gründe im nationalen Recht definiert sind. Deshalb kann nicht gewährleistet werden, dass die Mitglieder der USK vor unmittelbarem oder mittelbarem Druck von außen, der Zweifel an ihrer Unabhängigkeit aufkommen lassen könnte, geschützt sind. Daraus folgt, dass die USK nicht als „Gericht“ im unionsrechtlichen Sinne angesehen werden kann (mehr dazu in einem zukünftigen Beitrag).

III. Bewertung des Anlassfalls

Das Konstrukt des Vorabentscheidungsverfahrens soll einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz und die Einheitlichkeit des Unionsrechts gewähren. Fraglich ist jedoch, wie eine Entscheidung eines Schiedsgerichts (CAS) aus einem Drittstaat (Schweiz), welche nur von einem Gericht eines Drittstaates (Schweizerisches Bundesgericht) überprüft werden kann, einzuordnen ist, wenn Unionsrecht betroffen ist.

Wie bereits erläutert, sind weder der CAS noch das Schweizerische Bundesgericht dem EuGH zur Vorlage verpflichtet, weil sie in der Schweiz liegen. So der EuGH in der diskutierten Entscheidung (Rz 223):

Außerdem sei das Bundesgericht kein Gericht eines Mitgliedstaats, sondern ein Gericht außerhalb des Gerichtssystems der Union, das nicht befugt sei, dem Gerichtshof hierzu eine Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen.”

Darüber hinaus sprach der EuGH bereits in älteren Entscheidungen (Rs 102/81, Rs C-125/04) aus, dass Schiedsgerichte, die auf Grundlage einer privatrechtlichen Vereinbarung eingerichtet sind, nicht das Kriterium der obligatorischen Zuständigkeit erfüllen. Deshalb sind Schiedsgerichte wie der CAS nicht als „Gerichte“ im Sinne des Unionsrechts anzusehen. Sie erfüllen nicht die Voraussetzungen des Art 267 AEUV.

Zusätzlich äußerte der EuGH Bedenken bezüglich der Exklusivität der Sportgerichtsbarkeit. Sportler:innen kann durch das „Nicht-Erreichen“ des EuGH der gerichtlich wirksame Rechtsschutz, welcher durch ein Vorabentscheidungsverfahren (Art 267 AEUV) gewährleistet werden soll, genommen werden. Auch diesbezüglich ist auf den genauen Wortlaut des EuGH (Rz 223) zu verweisen:

Schließlich hätten die Sportler nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts praktisch keine andere Wahl, als zu akzeptieren, dass die Streitigkeiten zwischen ihnen und der ISU dem CAS unterbreitet würden, es sei denn, sie verzichten auf die Teilnahme an allen Wettbewerben, die von der ISU oder den ihr angehörenden nationalen Eislaufverbänden veranstaltet würden, mithin letztlich auf die Ausübung ihres Berufs.

IV. Ausblick

Der Anlassfall zeigt, dass der Instanzenzug zum EuGH in sportrechtlichen Fällen – trotz eröffnetem Anwendungsbereich des Unionsrechts – nicht immer möglich ist. Das ist für Sportler:innen freilich unbefriedigend. Ob die (europäische) Sportgerichtsbarkeit zukünftig anders ausgestaltet wird, lässt sich zum aktuellen Zeitpunkt aber noch nicht sagen.

Es scheint eher unrealistisch, dass sich die Institution des CAS in einen EU-Mitgliedstaat verlegen lassen wird. Als wahrscheinlicher ist mE eine Änderung des Instanzenzuges einzustufen. Es könnte zu einer „Kompromisslösung“ zwischen dem CAS, dem Schweizerischen Bundesgericht und dem EuGH kommen. Demnach wäre etwa eine Sonderregel, welche die Überprüfung von Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgericht in sportrechtlichen Fällen mit unionsrechtlichem Bezug betrifft, denkbar. Feststeht jedenfalls, dass der organisierte Sport eine zukunftsorientiere Lösung, die den Leitplanken des EuGH entspricht, finden muss.

Es bleibt demnach mit Spannung abzuwarten, ob und wie sich die (europäische) Sportgerichtsbarkeit entwickeln wird.

Bild: © Shutterstock/thodonal88

Die Causa Pechstein als never ending story?

Claudia Pechstein, der Name ist wohl jedem am Sportrecht Interessierten ein Begriff. Mit fünf Olympiasiegen ging die deutsche Eisschnellläuferin in die Geschichtsbücher ein. Daneben steht jedoch ein negativer Eintrag: Im Jahr 2009 wurde Pechstein wegen Dopings für zwei Jahre gesperrt. Dagegen wehrt sie sich nun seit über zehn Jahren juristisch. In der Causa liegt indessen auch eine Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vor.

Kurz zur Vorgeschichte: Pechstein wurden im Rahmen der Eisschnelllauf-Mehrkampfweltmeisterschaft 2009 im norwegischen Hamar erhöhte Blutwerte nachgewiesen, woraufhin die International Skating Union (ISU) eine zweijährige Sperre wegen Dopings verhängte. Dagegen zog die Deutsche vor den Internationalen Sportgerichtshof (CAS). Ohne Erfolg. Auch vor dem Schweizerischen Bundesgericht war für die Eisschnellläuferin nichts zu holen. Es folgten ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und ein Zivilprozess in Deutschland. Als wäre diese Liste nicht bereits lange genug, hat sich nun auch noch des BVerfG zu Wort gemeldet.

Pechstein vor BVerfG erfolgreich

Pechstein wandte sich mit einer Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des deutschen Bundesgerichtshofs (BGH), wonach ihre Klage wegen einer zugunsten des CAS vereinbarten Schiedsklausel unzulässig sei (KZR 6/15).

Mit Beschluss vom 3. Juni 2022 (1 BvR 2103/16) hat das BVerfG der Verfassungsbeschwerde von Pechstein stattgegeben. Das BVerfG ortete in der Entscheidung des BGH eine Verletzung des Justizgewährungsanspruches (Art 2 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 Grundgesetz). Der BGH habe die Bedeutung des Anspruchs auf Öffentlichkeit des Verfahrens verkannt. Die vorgenommene Abwägung zwischen dem Justizgewährungsanspruch und der Vertragsfreiheit sowie der Verbandsautonomie entspreche nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen.

Das Urteil des BGH wird damit aufgehoben und die Sache zur Fortsetzung des Verfahrens an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Kernaussagen des BVerfG

Zunächst hielt das BVerfG fest, dass ein „Schiedszwang“ im Sport grundsätzlich zulässig sei. Denn Schiedsvereinbarungen seien zur Gewährleistung einer international einheitlichen Sportgerichtsbarkeit und zur Bekämpfung des Dopings im internationalen Sportwettbewerb, auch in Ansehung der sich aus Art 13.2.1 des World-Anti-Doping-Codes (WADC) ergebenden völkerrechtlichen Bindungen erforderlich und als solches verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (Rz 40).

Ein Verzicht auf den Zugang zu den staatlichen Gerichten durch Abschluss einer Schiedsvereinbarung im Bereich des Sports sei aber nicht uneingeschränkt möglich: Das Verfassungsrecht setze dem vielmehr Grenzen. Damit der Staat schiedsrichterliche Entscheidungen anerkennen und in Ausübung seiner Hoheitsgewalt vollstrecken kann, müsse er dafür Sorge tragen, dass das schiedsgerichtliche Verfahren effektiven Rechtsschutz gewährleistet und rechtsstaatlichen Mindeststandards entspricht (Rz 40).

Hierzu gehört auch der Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen. Die auf den Streitfall anwendbare Fassung der Statuten des CAS, auf welche die Schiedsgerichtsvereinbarung Bezug genommen hat, sahen aber keinen Anspruch der Parteien auf eine öffentliche mündliche Verhandlung vor. Da ein solcher selbst für solche Fälle, in denen eine öffentliche Verhandlung nach Maßgabe des Art 6 Abs 1 EMRK zwingend geboten ist, nicht besteht, genüge die Ausgestaltung des schiedsgerichtlichen Verfahrens insgesamt weder den Garantien des Art 6 Abs 1 EMRK noch den insoweit korrespondierenden Anforderungen des Justizgewährungsanspruches (Rz 49).

BVerfG folgt EGMR

Das BVerfG schloss sich damit der Entscheidung des EGMR in der Causa Pechstein (Nr. 40575/10 und 67474/10) an. Die Richter in Strasbourg entschieden aufgrund einer Beschwerde von Pechstein gegen den Schiedsspruch des CAS und die Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts bereits im Jahr 2018, dass das Verfahren vor dem CAS mangels öffentlicher Verhandlung die Sportlerin in Art 6 Abs 1 EMRK verletze. Eine „Zwangsschiedsgerichtsbarkeit“ müsse alle Garantien des Art 6 Abs 1 EMRK gewähren (Rz 115).

Dass der CAS seine Verfahrensordnung indessen geändert hat, sei der Vollständigkeit halber angemerkt. Nunmehr haben Sportler grundsätzlich einen Anspruch auf eine öffentliche mündliche Verhandlung.

Conclusio

Die Causa Pechstein ist damit um eine weitere Episode reicher. Das BVerfG hat darin unter anderem zwei Pflöcke eingeschlagen: Demnach sind Sportlern „aufgezwungene“ Schiedsvereinbarungen grundsätzlich zulässig. Das schiedsgerichtliche Verfahren hat jedoch den verfassungsrechtlichen Vorgaben zu genügen. Das ist nicht nur richtig, es sollte mit Adolphsen vielmehr selbstverständlich sein. Die Autonomie des Sports endet dort, wo das Verfassungsrecht Grenzen normiert.

Nun ist erneut das Oberlandesgericht München am Zug. Ob die Geschichte damit ein Ende findet, bleibt mit Spannung abzuwarten.

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