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Arbeitsunfall oder Freizeitunfall – Der Ruf nach Rechtssicherheit

Im Fall der damaligen Synchronschwimmerin Vanessa Sahinovic beurteilte das Bundesverwaltungsgericht den schrecklichen Verkehrsunfall als Arbeitsunfall. Dies ließ weitreichende Folgen vor allem im Bereich des Arbeitnehmerschutzes befürchten. Der „Fall Lukas Müller“ zeigt, dass es nicht so ist. Der gesamte Sport ist gefordert, die rechtlichen Rahmenbedingungen zu klären.

Tragischer Unfall bei den Europaspielen in Baku

In einer 2017 ergangenen Entscheidung befasste sich das Bundesverwaltungsgericht mit einer jungen Schwimmerin, die bei den Europaspielen 2015 in Baku bei einem verheerenden Unfall verletzt wurde und seitdem querschnittsgelähmt ist. Bei aller Tragik des Ereignisses, stellte sich neben der persönlichen Tragödie auch die finanzielle Frage. Vor allem ob es sich dabei um einen Arbeitsunfall handelte, der die Anwendung der gesetzlichen Sozialversicherung auslöst.

Dabei galt es zu klären, ob einerseits ein entgeltliches – die Sozialversicherungspflicht auslösendes – Arbeitsverhältnis vorlag und andererseits ob das Österreichische Olympische Comité als entsendender Verband als Arbeitgeber zu qualifizieren ist.

Wann kommt es zur (Voll-) Anwendung der gesetzlichen Sozialversicherung

Einer Vollversicherung gemäß § 4 Abs 1 ASVG unterliegen Dienstnehmer, die in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt beschäftigt werden. Dabei genügt es, wenn die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegenüber den Merkmalen einer selbständigen Ausübung einer Erwerbstätigkeit überwiegen. Unter Entgelt sind alle Geld- und Sachbezüge zu verstehen, die aufgrund des Dienstverhältnisses geschuldet sind oder darüber hinaus vom Dienstgeber oder auch einem Dritten tatsächlich gewährt werden. Dabei wird unter wirtschaftlicher Betrachtung nicht auf die äußere Erscheinungsform abgestellt (zB Werkvertrag, Dienstvertrag), sondern der wahre wirtschaftliche Gehalt herangezogen.

Das Gericht bejaht den Arbeitnehmerbegriff

Das Bundesverwaltungsgericht hat im „Fall Sahinovic“ festgehalten, dass es bei der Prüfung der persönlichen Abhängigkeit auf eine Gesamtbetrachtung der konkret zu beurteilenden Beschäftigung ankomme. Dabei muss es im Gegensatz zu einem Werkvertrag oder freien Dienstvertrag zu einer weitgehenden Ausschaltung der Bestimmungsfreiheit des Beschäftigten durch die Beschäftigung kommen. Im Einklang mit dem arbeitsvertraglichen Arbeitnehmerbegriff kommt es durch die Bindung an die vom Arbeitgeber vorgegeben Ordnungsvorschriften über die Arbeitszeit, den Arbeitsort, das arbeitsbezogene Verhalten sowie die darauf abgestellten Weisungs- und Kontrollbefugnisse zur weitgehenden Ausschaltung der Bestimmungsfreiheit.

Überdies kann trotz bewusstem Verzicht einer Geldlohnvereinbarung eine Entgeltvereinbarung in Form eines Sachbezuges vorliegen. Es handelt sich dabei um bargeldlose Zuwendungen, die durch den Dienstgeber oder durch Dritte erbracht werden und dadurch auch die betriebsbezogenen Interessen des Dienstgebers fördern. Dabei wird auf den Parteiwillen abgestellt. Wird die vom Dienstnehmer erbrachte Leistung als Gegenwert für die bargeldlose Zuwendung gesehen, liegt ein Sachbezug vor. Diese muss auch geeignet und dazu bestimmt sein, die erbrachte Arbeitsleistung abzugelten. Es kommt somit zu einer Abwägung der wechselseitigen Interessen, wobei auch der Wert der Leistung eine Rolle spielen kann. Je höher der Wert der Zuwendung, desto eher kann von der Entgeltlichkeit des Vertragsverhältnisses ausgegangen werden.

Folglich sollte schon eine geringe Sachleistung reichen, die im Rahmen von Athletenvereinbarungen und Nominierungsverträgen zwischen dem Sportler und dem nominierenden Sportverband gewährt wird, um ein Dienstverhältnis zu begründen, das folglich zu Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung berechtigt.

Was bedeutet die Entscheidung für die Zukunft?

Bislang wurden Athleten bei unstrittigen Arbeitsunfällen, vor allem im Bereich des alpinen und nordischen Skisports, als Selbstständige qualifiziert, die den Arbeitnehmerbegriff nicht erfüllen. Durfte man davon ausgehen, dass durch die Entscheidung im „Fall Sahinovic“ diese Einschätzung nicht mehr aufrecht zu erhalten sein wird, zeigt der aktuelle „Fall Lukas Müller„, dass in diesem Bereich noch vieles ungeklärt scheint. Eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs sollte hier für Klarheit sorgen.

Auf jeden Fall lässt sich anhand der schrecklichen Einzel-Schicksalen festhalten, dass es bei der Ausgestaltung der vertraglichen Beziehungen zwischen Athleten und Verbänden in vielen Fällen zu einer keinesfalls wünschenswerten Rechtsunsicherheit kommt. Wird die Arbeitnehmereigenschaft bei Berufsfußballern der österreichischen Bundesliga, durch die Verdienste der zuständigen Spieler-Gewerkschaft, mittlerweile als selbstverständlich erachtet, befinden sich Einzelsportler nach wie vor in einem rechtlichen Graubereich.

In diesem Zusammenhang ist auf die Überlegungen der Schaffung eines eigenen Berufssportgesetzes hinzuweisen. Darin werden unter Rücksichtnahme der Besonderheiten des Sports optimale arbeitsrechtliche, sozialrechtliche, steuerrechtliche sowie haftungs- und vereinsrechtliche Rahmenbedingungen gefordert. Bis zu dessen Umsetzung bleibt die Sehnsucht nach mehr Rechtssicherheit aufrecht.

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