Exklusive Sportberichterstattung und der Programmauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Österreich
Gastbeitrag von Anna Groiß (Studierende der Rechtswissenschaften, Wien)
Der vorliegende Beitrag widmet sich der Diskussion über die Sportberichterstattung in Österreich und insbesondere der Frage, ob der ORF exklusiv über Sportereignisse mit teuren Übertragungsrechten berichten darf oder unter Umständen sogar muss.
Einleitung
Beinahe ein jeder Sport-Fan kennt es: Um möglichst viele Sportwettkämpfe verfolgen zu können, benötigt man mittlerweile mehrere Abonnements bei verschiedensten Anbietern, deren Preise seit Jahren ansteigen (siehe dazu z.B. nachstehenden Beitrag). Bis vor wenigen Jahren konnte man die meisten der „wichtigen“ Sportveranstaltungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk verfolgen, seit einigen Jahren ist dies kaum bis gar nicht mehr möglich.
Das liegt insbesondere an den enorm hohen Preisen, die mittlerweile für Übertragungsrechte ausgegeben werden müssen. Da der Österreichische Rundfunk (ORF) durch öffentliche Gelder finanziert wird, liegt es nahe, dass er mit seinen finanziellen Mitteln wirtschaftlich nachhaltig umzugehen hat. Auch der in § 3 f ORF-Gesetz normierte Kernauftrag des ORF fordert die Wirtschaftlichkeit des Programmes.
In Österreich gilt das Prinzip des „dualen Rundfunksystems“, wonach öffentlich-rechtliche Sender (ORF) neben privaten Sendern (z.B. ATV, ServusTV oder Sky) existieren können. Bei den privaten Sendern kann man zwischen Free-TV und Pay-TV-Sendern unterscheiden. Der größte Unterschied besteht in der Finanzierung. Während private Sender von Sponsoren, Werbung und unter Umständen durch Beiträge ihrer Kunden finanziert werden, ist der ORF auf den Rundfunkbeitrag angewiesen. Diesen haben all jene zu bezahlen, die ein Empfangsgerät besitzen (Achtung: Änderung im Finanzierungssystem ab 2024).
Während private Fernsehsender bezüglich konkreter Programminhalte kaum gesetzlichen Bestimmungen unterliegen, gelten für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk strenge Regeln. Unter anderem normiert das ORF-Gesetz in seinem § 3 einen Versorgungsauftrag und präzisiert diesen in § 4 mit einer Bestimmung zum „öffentlich-rechtlichen Kernauftrag“. Es ist deshalb unter anderem die Pflicht und der gesetzliche Auftrag des ORF, die Allgemeinheit umfassend über „alle wichtigen […] sportlichen Fragen“ zu informieren.
Dabei stellt sich zunächst die Frage, was unter „allen wichtigen sportlichen“ Fragen zu verstehen ist. Man könnte diesbezüglich die Verordnung der Bundesregierung über Ereignisse von erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung heranziehen. Wenn man § 1 dieser Verordnung betrachtet, dann würden beispielsweise Spiele der UEFA Champions League keine Stellung als „Ereignisse von erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung“ genießen. Die taxative Aufzählung dieser Bestimmung beinhaltet in Bezug auf sportliche Ereignisse etwa die Olympischen Sommer- oder Winterspiele, ausgewählte Partien der FIFA-Weltmeisterschaft und Europameisterschaft der Herren, das Finalspiel des österreichischen Fußballpokals sowie Alpine und Nordische FIS-Skiweltmeisterschafen. § 4 ORF-Gesetz spricht hingegen ganz klar von der „umfassenden Information der Allgemeinheit über alle wichtigen […] sportlichen Fragen“; nicht zuletzt der Passus „alle wichtigen“ lässt die Definition doch deutlich weiter erscheinen als jene der „erheblichen gesellschaftlichen Bedeutung“. Demnach ist zu konstatieren, dass der Anwendungsbereich des § 4 ORF-Gesetz breiter ist als jener der Verordnung. Obwohl der Begriff „wichtig“ selbstverständlich äußerst subjektiv ist, sollte selbstredend klar sein, dass auch Sportbewerbe von Frauen wichtig sind, auch wenn diese nicht notwendigerweise gleichzeitig von „erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung“ sein müssen.
Die wesentlichen Fragen sind nun, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk angesichts der immer weiter steigenden Lizenzgebühren überhaupt noch Exklusivrechte erwerben kann, ob er es darf oder ob er aufgrund seines Versorgungs- bzw. Programmauftrags unter Umständen sogar dazu verpflichtet ist.
Im Folgenden werden die verschiedenen Standpunkte in der Diskussion dargestellt:
Argumente contra Lizenzerwerb
Stimmen in der deutschen Literatur meinen, dass zunächst eine Obergrenze in Bezug auf die zulässige Gebührensumme bei attraktiven Programmen unabdingbar sei (Holznagel im Tagungsbericht der 98. Tagung des Studienkreises für Presserecht und Pressefreiheit e.V. 535 ff). Insbesondere bei der Finanzierung der Sportberichterstattung und den hier exzessiv ansteigenden Kosten könnte es ansonsten passieren, dass der Rundfunkbeitrag seine Legitimation verlieren könnte (Degenhart, Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus nationaler und internationaler Sicht 494 ff).
Wenn der ORF zum Zwecke der Finanzierung von teuren Exklusivrechten für Sportübertragungen seine Gebühren weiter erhöhen würde, könnte dies also dazu führen, dass das Gleichgewicht zwischen der gebotenen Programmleistung und der finanziellen Leistung der Zuseher gestört werde (Erkens, Der öffentlich-rechtliche Rundfunk und exklusive Sportberichterstattung 248). Hierbei muss vor allem beachtet werden, dass – trotz großem medialen Interesse – nicht jeder Gebührenzahler ein Interesse an Sportwettbewerben oder Sportberichterstattung hat.
Im ORF-Gesetz selbst steht außerdem auch nichts von einer Verpflichtung zu einer „exklusiven“ Berichterstattung. Es wird nur auf das Ziel und die Breite der Sportberichterstattung hingewiesen, nicht aber auf die Exklusivität. Es ist auch möglich inhaltlich qualitativ und ausführlich über die jeweiligen sportlichen Wettkämpfe zu berichten, ohne sie exklusiv und live zu übertragen (Erkens, Der öffentlich-rechtliche Rundfunk und exklusive Sportberichterstattung 313).
Argumente pro Lizenzerwerb
Kritiker dieser Auffassung argumentieren hingegen, dass die eingenommenen Rundfunkgebühren eben genau dem Zweck der Berichterstattung dienen und dass durch den Erwerb von Exklusivrechten der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks überhaupt erst erfüllt werden kann. Nur so könne sich der öffentlich-rechtliche Sender als attraktiv erhalten und von den Privaten unterscheiden (Erkens, Der öffentlich-rechtliche Rundfunk und exklusive Sportberichterstattung 250).
Ein Indiz für die Pflicht des ORF, auch teure exklusive Sportbewerbe zu übertragen, könnte auch die rechtliche Verankerung der Sportberichterstattung in Bezug auf den Kernauftrag im ORF-Gesetz sein. In anderen europäischen Ländern, wie beispielsweise Deutschland, wird der Sport nämlich nicht explizit im Rundfunkstaatsvertrag erwähnt.
Andere Ansätze
In der Mitte dieser Diskussion finden sich einige wenige Stimmen, die zwar dem „Gebühr-folgt-Auftrag-Grundsatz“ der Kritiker folgen, jedoch durchaus der Meinung sind, dass sportliche Exklusivrechte nicht unter diesen Grundsatz fallen sollten (Degenhart, Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus nationaler und internationaler Sicht 493). Demnach sei Sport kulturell überhöht und trage nur wenig zur Völkerverständigung bei. Aus diesem Grund sind diese Stimmen in der Literatur der Meinung, dass der Sport zwar eine integrative Funktion habe, seine Kosten allerdings nur mittels Werbeinnahmen gedeckt werden sollten. Gersdorf ist außerdem der Meinung, dass es für den Fall, dass Fußball nicht durch Gebühren finanziert wird, immer noch die Möglichkeit gebe, ihn woanders zu sehen (Gersdorf im Tagungsbericht der 98. Tagung des Studienkreises für Presserecht und Pressefreiheit e.V. 536f).
Dieser Ansatz ist insbesondere valide, wenn man zudem die Auffassung vertritt, dass der Versorgungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auch dann erfüllt ist, wenn Free-TV-Sender die Sportbewerbe übertragen.
In der Literatur wird zum Teil auch der Ansatz vertreten, dass es an der Zeit sei, den öffentlich-rechtlichen Sendern eine Zurückhaltungspflicht aufzuerlegen. Das soll bedeuten, dass der ORF nur noch bei Bedarf Lizenzen erwerben dürfte; mit anderen Worten: nur dann, wenn kein privater Sender die betroffenen Sportexklusivrechte erwirbt, der Bewerb aber trotzdem in den Kernauftrag des ORF fällt (Erkens, Der öffentlich-rechtliche Rundfunk und exklusive Sportberichterstattung 123).
Andere vertreten die Ansicht, dass es nicht darum gehe „was die Allgemeinheit nutzt, sondern (darum) was sie braucht“ (vgl dazu Erkens, Der öffentlich-rechtliche Rundfunk und exklusive Sportberichterstattung 299 ff). Auch dieser Standpunkt ist nachvollziehbar, da es die primäre Aufgabe des ORF ist, die Bevölkerung zu informieren. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk kann es sich also grundsätzlich nicht erlauben, nur darauf zu achten, was aktuell im Trend liegt oder die höchsten Einschaltquoten erzielen würde.
Fazit
Es ist deutlich zu sehen, dass sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Zwiespalt zwischen der Erfüllung des Versorgungsauftrages und der Wahrung der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit befindet.
Der Literatur folgend spricht grundsätzlich nichts dagegen, wenn sich der ORF weiterhin bemüht, attraktive Übertragungsrechte zu erwerben. Die Frage, ob der ORF nun teure Exklusivrechte erwerben darf oder unter Umständen sogar muss, ist meines Erachtens anlassfallbezogen zu beurteilen. Man sollte den Versorgungsauftrag des ORF als Minimalangebot für die österreichische Bevölkerung ansehen, um sich bestmöglich über verschiedenste Inhalte informieren zu können.
Wie der Alltag zeigt, endet die Informationsbeschaffung nicht beim ORF. Meiner Meinung könnte es ausreichen, wenn ein anderer österreichischer oder deutschsprachiger Free-TV-Sender die Übertragungsrechte an der Veranstaltung hält; ein Free-TV-Sender insofern, weil man auch für die Nutzung des ORF bezahlen muss und man ihn diesbezüglich ansonsten wohl als „normalen“ Pay-TV-Sender ansehen müsste. Im Vergleich zu Abonnements bei Streaming-Anbietern ist die Gebühr für den ORF jedoch grundsätzlich nicht freiwillig.
Um den ORF nicht in die Lage zu versetzen, dass ihm von Teilen der Bevölkerung, die weniger sportinteressiert sind, die Legitimation abgesprochen wird, wäre nach meinem Dafürhalten eine betragliche Obergrenze für den Erwerb von Exklusivrechten durch öffentlich-rechtliche Sender entweder auf nationaler oder aber auch auf europäischer Ebene wohl sinnvoll und wünschenswert. Nicht zuletzt würde helfen, wenn es eine klare Definition gäbe, welche Sportarten überhaupt unter § 4 ORF-Gesetz fallen.
Zu guter Letzt ist in diesem Zusammenhang auch das Recht auf Kurzberichterstattung wesentlich, welches in Österreich im Fernseh-Exklusivrechtegesetz verankert ist. Der darin enthaltene § 5 gibt dem ORF die Möglichkeit unter bestimmten Voraussetzungen einen Kurzbericht über Sportereignisse senden zu dürfen, welche ein anderer Sender exklusiv gesendet hat. Damit könnte der ORF zumindest versuchen, die Bevölkerung umfassend zu informieren und seinem Auftrag auch ohne Exklusivberichte nachzukommen.
Unabhängig davon, ob man sportinteressiert ist oder nicht, kann man sich wohl doch darauf einigen, dass mit dem Versorgungsauftrag des ORF auch eine große Verantwortung einhergeht und Sport gesellschaftlich eine sehr hohe Relevanz hat. Deshalb wären klare Regeln wünschenswert.
Hinweis: Beim vorliegenden Beitrag handelt es sich um einen Ausschnitt aus der Seminararbeit von Anna Groiß, die im Rahmen des Seminars „Sport im öffentlichen Recht“ bei Prof. Gerhard Muzak vorgelegt wurde.
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