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Investorenbeteiligung vs. deutsche Fanszene – Hintergründe, Probleme und Ergebnis

Gastbeitrag von Benedikt Winkler (Universitätsassistent am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien)

Tennisbälle, Schokomünzen, ferngesteuerte Autos und Flugzeuge: Was verbindet diese Dinge? Auf den ersten Blick nicht viel, außer, dass sie höchstwahrscheinlich viele Kinderaugen zum Leuchten bringen würden. Einen Vorteil bei der Beantwortung dieser Frage haben aufmerksame Zuschauer der Deutschen Fußball Bundesliga. So wurden bereits sämtliche dieser Dinge als Protestmittel gegen eine Investorenbeteiligung im Zusammenhang mit der Deutschen Fußballiga (DFL) eingesetzt, um ihrem Anliegen Aufmerksamkeit zu verschaffen. Doch worum geht es hier eigentlich genau und warum wirft all dies ein neues Licht auf die 50+1 Regel?

Investor als Heilsbringer für die DFL?

Es ist nichts Neues, dass Geld und die Steigerung des Umsatzes einen bedeutenden Platz in der Fußballwelt einnehmen; ebenso wenig neu ist die Ablehnung, die einige Fans dem entgegenbringen. Ein Großteil des an die Vereine fließenden Geldes wird durch die Vermarktung von Übertragungsrechten erwirtschaftet. In Deutschland obliegt die Vermarktung der Rechte an Bundesliga und 2. Bundesliga der DFL GmbH, welche wiederum die operativen Geschäfte ihres Alleingesellschafters – dem DFL e.V. – ausübt. Mitglieder im DFL e.V. sind all jene 36 Fußballvereine, die einer der beiden obersten deutschen Spielklassen angehören.

Auslöser der gegenständlichen Problematik ist das Bestreben der DFL, neue internationale Märkte zu erschließen und eine neue digitale Plattform aufzubauen, um dadurch die erwirtschafteten Umsätze der DFL zu stärken. Das dafür benötigte Geld soll durch einen Investor akquiriert werden, konkret soll es um eine Milliarde Euro gehen. Als Gegenzug wird dieser „strategische Partner“ an bis zu 8 % der Erlöse der neu zu gründenden DFL MediaCo GmbH & Co. KGaA beteiligt, deren Kernaufgabe die Vermarktung der Medienrechte und zentraler Sponsoring und Lizenzrechte der Bundesliga sowie der 2. Bundesliga sein soll. Präventiv wurden dafür einige unverhandelbare Punkte für die DFL festgelegt, darunter etwa: kein Verkauf von Anteilen am DFL e.V. oder der DFL GmbH, sondern eine zeitlich beschränkte Beteiligung an Lizenzerlösen; dem Investor kommt auch kein Mitspracherecht bei der Festlegung der Spielplanung (Stichwort: Ansetzung von Pflichtspielen im Ausland) und Anstoßzeiten zu. Die Frage, ob der Geschäftsführung des DFL e.V. das Mandat zum Abschluss dieses Geschäftes erteilt wird, wurde am 11.12.2023 einer Abstimmung durch alle Mitgliedervereine unterzogen.

Die Kritikpunkte

Der Unmut der Fans stützt sich auf eine Vielzahl an Gründen, die sich grob in drei Themengebiete unterscheiden lassen: Erstens werden generell das Konzept des Einstiegs eines Investors sowie die dahinter liegenden Gründen abgelehnt (Stichwort: Kommerzialisierung des Fußballs). So wird generell die Notwendigkeit einer Digitalisierung und Internationalisierung der deutschen Fußballigen in Frage gestellt und die Befürchtung geäußert, dass ein Investor – trotz der oben angeführten unverhandelbaren Punkte – dennoch großen Einfluss auf die zukünftige Gestaltung der Ligen nehmen kann. Zweitens richtet sich die Kritik gegen die potenziellen Investoren selbst und dabei vor allem gegen die Herkunft des dahinterstehenden Geldes (einzig verbleibender Verhandlungspartner war nunmehr das Private-Equity-Unternehmen CVC, nachdem sich Blackstone zurückgezogen hat). Hinter CVC steht unter anderem der Staatsfond Saudi-Arabiens und somit das Kapital eines Landes, welches immer wieder in starker Kritik wegen Verstößen gegen die Menschenrechte steht. Drittens besteht große Missbilligung an der Durchführung der Abstimmung des DFL e.V. selbst. So wird insbesondere die Durchführung einer geheimen Abstimmung an sich sowie die Stimme von Martin Kind als Aushöhlung der 50+1-Regel bemängelt. Im Ergebnis mündeten all diese Punkte in die Protestaktionen vieler Fanszenen.

Eine „geheime“ Abstimmung mit Nachspiel

Auf Antrag eines Präsidiumsmitgliedes wurde – obwohl dies grundsätzlich gemäß § 28 Abs 1 Satzung DFL e.V. (alle weiteren § beziehen sich auf dieses Satzung) nur für Wahlen vorgesehen ist – geheim abgestimmt. Nichtsdestotrotz konnte durch nachgehende Äußerungen von Vereinen deren Stimmverhalten mit großer Wahrscheinlichkeit eruiert werden, wodurch sich folgendes Ergebnis abzeichnete: 24 zu 10 Stimmen für einen Investor bei zwei Enthaltungen. Damit galt das Mandat als erteilt. Für das Zustandekommen eines Beschlusses gemäß § 27 Abs 2 genügt nämlich grundsätzlich die einfache Mehrheit der gültig abgegebenen Stimmen bei Anwesenheit von zumindest der Hälfte der Mitgliedervereine. Für den Erfolg der hier interessierenden Abstimmung bedarf es in Abkehr davon jedoch nach § 25 Abs 2 lit g explizit einer Zweidrittelmehrheit der gültig abgegebenen Stimmen.

Bereits auf einem ersten Blick in die DFL-Statuten offenbart sich folgende Unstimmigkeit: Im Widerspruch zum Erfordernis, dass die Stimmen „gültig abgegeben“ sein müssen, hält § 27 Abs 6 generell für Beschlussfassungen mit qualifizierter Mehrheit fest: „[…] ungültige Stimmzettel [gelten] als abgegebene Stimmen“. Dieser Konstruktion ist eine semantische Eigentümlichkeit immanent, welche sich bei genauerer Betrachtung verdeutlicht. So normiert § 27 Abs 6 zwar die Fiktion einer abgegebenen Stimme; ob diese aber als „gültig“ iSd § 25 Abs 2 lit g zu sehen ist, kann bezweifelt werden. Im Endeffekt kann die Lösung dieses Problems nur mittels Interpretation erfolgen. Aus systematischen Gründen sprechen gute Punkte dafür, das Wort „gültig“ in § 25 Abs 2 lit g iVm § 27 Abs 6 zu lesen und somit auch eigentlich ungültig abgegebene Stimmen als Votum gegen den Beschluss zu zählen.

Ein wichtiger Puzzlestein für das Verständnis des Unmutes der Fans ist die abgegebene Stimme des Hannover 96 Geschäftsführers Martin Kind. Freilich wurden diese geheim abgegeben, dennoch kann aus dem offengelegten Stimmverhalten anderer Clubs geschlussfolgert werden, dass er aller Voraussicht nach für die Erteilung des Mandates gestimmt hat. Aus zweierlei Gründen hat die Stimme Brisanz: Erstens war – den deutschen Medien zufolge – die Stimme das Zündleien an der Waage, um die notwendige Stimmenmehrheit (24 von 36) zu erlangen. Zweitens votierte er gegen die ausdrückliche Weisung des Hannover 96 e.V. mit „Nein“ zu stimmen, was möglicherweise einer Verletzung der 50+1-Regel gleichkommt.

Warum das Gros der deutschen Medien, wie etwa die Sportschau, davon ausgeht, dass 24 positive Stimmen für das Zustandekommen des Beschlusses erforderlich sind, ist nicht vollends verständlich. Eine detaillierte Analyse des Wahlvorganges kann an dieser Stelle aufgrund der Intransparenz der Wahl nicht durchgeführt werden. Dennoch offenbart sich eine spannende Konstellation im Zusammenhang mit der nach außen getragenen Stimmenthaltung zweier Vereine, die zumindest Fragen aufwirft. Folgt man den obigen Ausführungen, werden sämtliche abgegebenen Stimmen (egal ob gültig oder ungültig) zusammengerechnet und innerhalb dieser müssen zwei Drittel dem Beschluss zustimmen; wenn sämtliche Vereine von ihrem Stimmrecht Gebrauch machen folglich 24 von 36 Zustimmungen. Für die konkrete Beschlussfassung enthielten sich jedoch zwei Vereine ihrer Stimme. Dies als „ungültigen Stimmzettel“ iSd § 27 Abs 6 zu sehen, überschreitet wohl den äußerst möglichen Wortsinn und somit verringert sich die absolute Zahl der abgegebenen Stimmen. Für die geforderte Mehrheit bedarf es demnach „nur“ 23 von 34 Stimmen, was im Ergebnis bedeutet, dass die Stimme von Martin Kind kein ausschlaggebender Faktor war, ganz anders als in vielen deutschen Medien berichtet wird. Aus Mangel der Veröffentlichung der offiziellen Ergebnisse handelt es sich hierbei freilich nur um Mutmaßungen, möglich wäre auch, dass die beiden Vereine einen leeren Stimmzettel abgegeben haben, sodass dies einer Gegenstimme gleichkommen würde. In einem solchen Fall von einer „Enthaltung“ zu sprechen, scheint jedoch widersprüchlich. Am Ergebnis ändert diese jedenfalls nichts und somit wurde die Tür für eine Investorenbeteiligung geöffnet.

50+1 erneut auf dem Prüfstand

Das potenziell weisungswidrige Stimmverhalten von Martin Kind könnte zudem weitreichende Folgen für die Organisation des deutschen Profifußballs nach sich ziehen. So gilt in Deutschland – als einzige der europäische Top 5 Ligen – die 50+1 Regel (siehe dazu bereits folgenden LMS-Beitrag): Gemäß § 8 Abs 3 muss der Mutterverein in der Regel die Mehrheit der Stimmrechte an jener Kapitalgesellschaft halten, in welche die Profi-Fußballabteilung ausgegliedert wird. Das Präsidium der DFL hat jedoch die Befugnis, von dieser Regel abzuweichen, insbesondere wenn ein Investor den Fußballsport des Muttervereins über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren kontinuierlich und signifikant unterstützt hat. Derartige Ausnahmen wurden für Bayer Leverkusen, VfL Wolfsburg und die TSG Hoffenheim erteilt (wobei letztere mittlerweile wieder die Vorgaben der 50+1 Regel erfüllt, nachdem der ehemalige Mehrheitseigentümer Dietmar Hopp die Stimmrechtsmehrheit an den Verein rückübertragen hat).

Die Vereinbarkeit dieser Regelung mit dem Kartellrecht ist Gegenstand eines langandauernden Verfahrens vor dem Bundeskartellamt. Als kartellrechtlich problematisch wurde dabei bislang nicht die 50+1 Regel per se, sondern die Möglichkeit der Gewährung von Ausnahmen gesehen. Die DFL sagte in diesem Zusammenhang die Streichung dieses Satzungsteiles zu; der Abschluss des kartellrechtlichen Verfahrens galt nur mehr als Formsache. Die aktuellen Entwicklungen bringen jedoch frischen Wind in die Angelegenheit und das Bundeskartellamt möchte die Bestimmung einer Revaluation unterziehen. Dabei führt es die erst kürzlich ergangenen Urteile des EuGH (C-333/21, „European Superleague Company u.a.“; C-124/21, „ISU“; C-680/21, „Royal Antwerp Football Club“) an, welche die Rahmenbedingungen für das Verhältnis zwischen Verbandsregeln und Wettbewerbsrecht verdeutlichen. Demnach haben Verbandsregeln transparent, objektiv, präzise und nicht diskriminierend gestaltet zu sein, was sich auch in ihrer praktischen Anwendung zeigen muss (siehe dazu folgenden LMS-Beitrag). So war die Gefahr der weisungswidrigen Stimmabgabe dem DFL-Präsidium zwar bekannt, Präventivmaßnahmen wurde jedoch keine gesetzt; eher wurde dies sogar durch die geheime Abstimmung begünstigt. Die 50+1 Regel könnte vor diesem Hintergrund als reine „pro forma“-Reglung und damit als wettbewerbswidrig eingestuft werden.

Die Macht der Fans

Die Rückendeckung der Vereine dürfte der DFL mittlerweile fehlen. So räumt Hans-Joachim Watzke (Sprecher des DFL-Präsidiums) nach Durchführung einer außerordentlichen Präsidiumssitzung am 21.2.2024 ein, dass „eine erfolgreiche Fortführung des Prozesses in Anbetracht der aktuellen Entwicklungen nicht mehr möglich scheint.“ Der Investorendeal liegt damit auf Eis. Die Aufhebung des formal noch bestehenden Mandats durch die Mitgliedervereine gilt als nächster logischer Schritt. Ein weiteres Mal – nach Abschaffung der Montagsspiele – zeigt sich eindrucksvoll die Macht der deutschen Fanszene: Der Deal ist vom Tisch. Welche Schlussfolgerungen das Bundeskartellamt aus dem Geschehenen zieht, wird sich zeigen.

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Die „50+1“-Regel, ein Dauerbrenner

Die sogenannte 50+1-Regelung des organisierten Fußballsports in Österreich und Deutschland wurde bereits vor der Coronakrise heftigst diskutiert. Doch gerade die Pandemie brachte viele Fußballvereine an ihre finanziellen Grenzen. Unter anderem fehlen den Vereinen aufgrund der leeren Stadien die Einnahmen aus Ticketverkäufen. In Zeiten des „harten Lockdowns“ konnten gar keine Spiele stattfinden und somit fielen auch die essentiell wichtigen Fernsehgelder aus. Die Folge: Viele (vor allem kleine und wirtschaftlich schwache) Vereine haben große finanzielle Sorgen und die Gefahr der Insolvenz war wohl noch nie größer. Dazu wird die monetäre Schere zwischen den „reichen“ und „armen“ Vereinen nach und nach größer. Eine mögliche Lösung: das Kippen oder die Modifizierung der „50+1“-Regel.

Doch wo ist die „50+1“-Regelung eigentlich genau geregelt? Wo liegen ihre Ursprünge? Welchen Zweck verfolgt sie und wie sieht ihre Zukunft aus?

Rechtsgrundlagen

Österreich:

Gemäß den Lizenzbestimmungen der Österreichischen Fußball-Bundesliga (folgend: BL-Lizenzbestimmungen) müssen die Fußballvereine der höchsten Spielklasse neben der sportlichen Qualifikation über eine Lizenz verfügen, um am Ligabetrieb der österreichischen Bundesliga teilnehmen zu können (siehe Punkt 4.3.1.1 der BL-Lizenzbestimmungen). Lizenzträger kann zwar nur ein gemeinnütziger Verein sein, doch zwingt ein Erlass des Bundesministeriums für Finanzen vom 27.2.2015 die Fußballklubs seit dem 1.1.2017, ihre Profibetriebe in selbstständige Kapitalgesellschaften auszugliedern. Dies stellt eine Möglichkeit dar, die Gemeinnützigkeit der Vereine und die damit einhergehenden abgabenrechtlichen Begünstigungen zu erhalten (Details in §§ 34 ff Bundesabgabenordnung). Die Ausgliederung soll zudem ein kontrolliertes Wirtschaften des Profibetriebes gewährleisten.

Demnach ist Voraussetzung für die Behandlung des Lizenzantrags eines lizenzwerbenden Vereins, dass der Profispielbetrieb, also die Kampfmannschaft, in eine Kapitalgesellschaft ausgegliedert wird. Diese Ausgliederung muss bis zum 1.1., der dem Abgabetermin der Lizenzunterlagen unmittelbar vorausgeht, erfolgt sein. Wirksam ist sie außerdem nur bei Vorliegen einer Genehmigung durch den Lizenzgeber (siehe Punkt 4.3.2.2 der BL-Lizenzbestimmungen). Lizenzgeber ist der Lizenzausschuss (Senat 5 genannt), der für das Lizenzierungsverfahren und die jeweilige Lizenzvergabe bzw -verweigerung in erster Instanz zuständig ist (siehe Punkt 3.2.2.1 und 3.2.3 der BL-Lizenzbestimmungen bzw § 22 Abs 9 der Satzungen der Österreichischen Fußball-Bundesliga).

Die Ausgliederung selbst ist an bestimmte Bedingungen geknüpft, welche erfüllt sein müssen, um die Genehmigung zu bekommen. Hierbei kommt die (österreichische) 50+1-Regelung aus Punkt 4.4.2.5 der BL-Lizenzbestimmungen ins Spiel:

Der Lizenzbewerber/-nehmer muss beherrschenden Einfluss auf die Gesellschaft haben und über die Mehrheit der Stimmrechte an der Gesellschaft unmittelbar verfügen.“

Einfach erklärt: Der Fußballverein muss zumindest 50 % der Stimmrechte + 1 Stimme, also die Stimmenmehrheit, in der (ausgelagerten) Kapitalgesellschaft innehaben.

Deutschland:

In Deutschland sind dementsprechende Regelungen in § 8 Abs 2 der Satzung des Ligaverbandes und in § 16c Abs 2 und Abs 3 der Satzung des Deutschen Fußballbundes (DFB) zu finden. Erstere Bestimmung lautet: „Eine Kapitalgesellschaft kann nur eine Lizenz für die Lizenzligen und damit die Mitgliedschaft im Ligaverband erwerben, wenn ein Verein mehrheitlich an ihr beteiligt ist, der über eine eigene Fußballabteilung verfügt, und der im Zeitpunkt, in dem sie sich erstmals für eine Lizenz bewirbt, sportlich für die Teilnahme an einer Lizenzliga qualifiziert ist. Der Verein („Mutterverein“) ist an der Gesellschaft mehrheitlich beteiligt („Kapitalgesellschaft“), wenn er über 50 % der Stimmenanteile zuzüglich mindestens eines weiteren Stimmenanteils in der Versammlung der Anteilseigner verfügt. […]

Die Regelungen beider Länder sagen im Endeffekt dasselbe aus. Jedoch gibt es bezüglich der Lizenzvergabe zwei Unterschiede zwischen der österreichischen und der deutschen Rechtslage. Erstens ist es in Deutschland möglich, dass eine Kapitalgesellschaft autonom eine Lizenz erwerben kann. Lizenzwerber bzw -nehmer muss nicht notwendigerweise ein Verein sein, wie es hingegen in Österreich der Fall ist. Zweitens werden in Deutschland explizite Ausnahmen von der „50+1“-Regel vorgesehen, bei uns hingegen nicht. Dazu unten mehr…

Hintergrund und Zweck der Regelung

Der Ursprung der deutschen „50+1“-Regel liegt im Jahr 1998. Ein Beschluss des DFB-Bundestages eröffnete die Möglichkeit, dass Kapitalgesellschaften am Spielbetrieb der Lizenzligen teilnehmen können bzw gab man den Vereinen die Chance, ihre Lizenzspielerabteilungen (Profibetriebe) in eine Kapitalgesellschaft quasi umzuwandeln. Hintergrund dafür waren die Entwicklungen im Zuge der Professionalisierung des Fußballs. Wesentlicher Zweck war also die Schaffung von Finanzierungsmöglichkeiten am Kapitalmarkt. Um die Unabhängigkeit der Vereine zu gewährleisten, also diese vor der Willkür von Investoren zu schützen, wurde gleichzeitig der Abschnitt mit der „50+1“-Regel beschlossen. Dessen Ziel wiederum war/ist zunächst ganz klar die Vermeidung der Fremdbestimmung der Clubs durch Investoren von außen. Die Sicherung des Fußballsports an sich steht nämlich im Mittelpunkt, und nicht etwaige finanzielle Interessen von nach Gewinn lechzenden Investoren. Daneben soll die Verbindung zwischen Leistungs- und Breitensport aufrechterhalten bleiben. Auch soll gewährleistet sein, dass die Wettbewerbssituation der Ligen und der verbandlichen Strukturen nicht durch die Ausgliederung der Profibetriebe in Kapitalgesellschaften verzerrt wird sondern möglichst neutral bleibt. Die zwischen den Vereinen bereits bestehenden Unterschiede finanzieller Natur sollen nicht noch weiter auseinandergehen. Nicht zuletzt geht es um das Ansehen einer Fußballliga, die ja von einem fairen und ehrlichen Wettkampf gekennzeichnet ist (nachzulesen unter anderem in Fragen und Antworten zur 50+1-Regel der Deutschen Fußball Liga).

Die „50+1“-Regel wirkt sohin als Limitierung der Macht von externen Investoren. Kapital dürfen diese ja einbringen und damit Beteiligungen an den ausgegliederten Profibetrieben generieren. Nur dürfen sie nicht mehr als 50 % der Stimmrechtsanteile besitzen. Kapitalanteile demgegenüber könnten theoretisch alle übernommen werden. ME gelten die Überlegungen bezüglich des Zwecks auch für die österreichische Variante, da die Intention hinter der Regel bestimmt die gleiche war und allgemein Parallelen im deutschen und österreichischen Fußballwesen zu erkennen sind (Stichwort Fankultur etc).

(Deutsche) Ausnahmen

Zuerst ist festzuhalten, dass die österreichischen BL-Lizenzbestimmungen keine Ausnahmen von der „50+1“-Regelung vorsehen. Im Gegensatz dazu gibt es in Deutschland sogar zwei Ausnahmen: die Ausnahme für Förderer des Fußballsports und die Ausnahme für die Kommanditgesellschaft auf Aktie, wobei hier nur erstere behandelt wird.

Die sog „Lex Leverkusen“ ist ebenfalls in § 8 Abs 2 der Satzung des Ligaverbandes geregelt: „[…] Über Ausnahmen vom Erfordernis einer mehrheitlichen Beteiligung des Muttervereins nur in Fällen, in denen ein Wirtschaftsunternehmen seit mehr als 20 Jahren vor dem 1.1.1999 den Fußballsport des Muttervereins ununterbrochen und erheblich gefördert hat, entscheidet der Vorstand des Ligaverbandes. Dies setzt voraus, dass das Wirtschaftsunternehmen in Zukunft den Amateurfußballsport in bisherigem Ausmaß weiter fördert sowie die Anteile an der Kapitalgesellschaft nicht weiterveräußert bzw. nur an den Mutterverein kostenlos rückübereignet. Im Falle einer Weiterveräußerung entgegen dem satzungsrechtlichen Verbot bzw. der Weigerung zur kostenlosen Rückübereignung hat dies Lizenzentzug für die Kapitalgesellschaft zur Folge. Mutterverein und Kapitalgesellschaft können nicht gleichzeitig eine Lizenz besitzen.“

Momentan gibt es mit den beiden „Werksclubs“ Bayer Leverkusen – der erste Verein, der im Jahre 1999 seinen Profispielbetrieb in eine Kapitalgesellschaft ausgliederte – und VfL Wolfsburg sowie der TSG Hoffenheim drei von der „50+1“-Regel zugelassene Ausnahmen. Sowohl bei Leverkusen als auch bei der VfL Wolfsburg-GmbH (ausgegliederter Profibetrieb) handelt es sich um Tochtergesellschaften, die zu 100 % in Besitz ihrer Mutterunternehmen (Volkwagen und Bayer) sind. Dietmar Hopp, seinerseits die erste natürliche Person mit Stimmenmehrheit an einem Bundesligaverein (TSG Hoffenheim), wurde 2015 die Ausnahme genehmigt.

Kurz sei noch auf die wettbewerbsrechtliche Problematik hingewiesen, die sich im Rahmen der „50+1“-Regel ergibt. So wird der Regelung vorgeworfen, sie verstoße gegen europäisches Kartellrecht, da sie den Zugang zum Markt für Beteiligungen an Sportkapitalgesellschaften unverhältnismäßig beschränke und nicht sachlich gerechtfertigt werden könne. Das deutsche Bundeskartellamt überprüft gerade, ob ein etwaiger Verstoß gegen deutsches und europäisches Kartellrecht vorliegt.

Diskussion und Ausblick

In der deutschen Fanszene spricht man sich klar gegen eine Abschaffung der „50+1“-Regel aus. Der Unmut wurde von den Zuschauern auch bereits häufig bspw durch Plakate in den Stadien – selbstverständlich vor Pandemiezeiten – kundgemacht. Die größte deutsche Faninitiative für die Regelung dürfte „50+1 bleibt!“ sein.

Doch wird man sehen, ob die Regelung (in dieser Art) bestehen bleibt oder nicht. Wie gesagt, die finanziellen Auswirkungen der Coronapandemie sind für viele Vereine extrem. Daher wird man auch über eine Modifizierung der Regel nachdenken müssen, um den Vereinen wirtschaftliche Opportunitäten zu ermöglichen. Interessant sind hierbei die Überlegungen von Kay Dammholz, einem deutschen Medienmanager, der im Falle einer Änderung der Regel von Seiten des DFB und der DFL klare Kriterien fordert. Diese müssten mit den Fußballklubs in einem offenen Diskurs erarbeitet werden. Zu denken ist etwa an das Verbot des Weiterverkaufs der Anteile oder an keine Ticketpreiserhöhung ohne Zustimmung des Muttervereins (genauer hier nachzulesen). „Tradition bewahren, aber Fortschritt zulassen!“ Das ist das Motto von Henning Zülch (Wirtschaftsprofessor und -experte). Er sieht in der Krise die Chance zur Modifikation der „50+1“-Regel. Damit der deutsche Fußball in eine wirtschaftlich stabile Zukunft gehen könne, brauche es Investoren mit positiven Intentionen, die es mit den Vereinen ernst meinen und sie konstruktiv stärken und fördern möchten.

In Österreich stellt sich bei einer Abschaffung/Modifizierung der Regel zuerst die Frage, ob große Investoren wie zB ein Roman Abramovich (Besitzer des englischen Chelsea FC) überhaupt an der „kleinen“ österreichischen Bundesliga bzw der Übernahme eines Verein Interesse hätten? Der Stellenwert unserer heimischen Liga ist im internationalen Vergleich wohl ehrlicherweise nicht besonders hoch. Die genannte Größenordnung ist deswegen mE eher zu verneinen. Doch um auch das „Geldtascherl“ einzelner österreichischer Fußballvereine durch kleinere Finanzspritzen zu füllen und so die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abzufedern, wäre ohnehin eine Abschaffung/Modifikation „unserer“ Regelung vonnöten. Denn etwaige Investoren werden nur bei entsprechender Stimmbeteiligung Finanzmittel zur Verfügung stellen. Ansonsten wird man sich in anderen Ländern nach geeigneten Kandidaten umsehen. Man darf sich trauen zu behaupten, dass in Österreich eine Anpassung nicht lange dauern würde, sollte es in Deutschland zu einer Veränderung bezüglich der „50+1“-Regel kommen. Fakt ist letztlich, Österreich und Deutschland sind zwei der wenigen (wenn nicht sogar die letzten) Länder, die eine solche Regelung haben. Auf jeden Fall wird spannend zu beobachten sein, wie sich diese Angelegenheit entwickelt…

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