Schlagwortarchiv für: Fanszene

Der sportrechtliche Jahresrückblick 2024

Der vorliegende Beitrag lässt das sportrechtliche Jahr 2024 nochmals Revue passieren. Ein Jahr, in dem vor allem innerhalb der Landesgrenzen der ein oder andere rechtliche Vorfall für Aufregung gesorgt hat. Aber auch auf europäischer Ebene stand allen voran das Diarra-Urteil unter genauer Beobachtung der ExpertInnen. Die folgenden Ausführungen können keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, sollen den Sportrechtsinteressierten aber einen Überblick bieten.

I. Internationales

Vor Jahren wurde noch kolportiert, dass Streitigkeiten im Sport außerhalb von Gerichtssälen ausgetragen werden. Diese Aussage kann heute nicht mehr aufrechterhalten werden. Obwohl für die Streitschlichtung im Sport primär die Sportgerichtsbarkeit vorgesehen ist, werden zunehmend die ordentlichen Gerichte bemüht, so gab es auch in diesem Jahr Gerichtsentscheidungen mit sportrechtlichem Bezug, die mit Spannung verfolgt werden konnten:

An der Spitze der diesjährigen EuGH-Entscheidungen steht wohl die brisante Causa rund um den ehemaligen Fußballprofi Lassana Diarra, dessen Folgen sich erst kürzlich am 23.12.2024 durch eine interimistische Anpassung der Regulations on the Status and Transfer of Players (RSTP oder auch franz. RSTJ), insbesondere hinsichtlich des Art. 17 FIFA-RSTP, äußerten. Dieser vorläufigen Änderung ging das Urteil C-650/22 vom 04.10.2024 voraus, welches sich mit einer Transferproblematik aus dem Jahr 2014 beschäftigte. Diarra stand damals bei Lokomotive Moskau unter Vertrag, nach internen Streitigkeiten kam es zu einer einseitigen Vertragsauflösung ohne wichtigen Grund, woraufhin vom Verein eine Entschädigungsleistung in Höhe von 10,5 Mio. Euro vor der FIFA-Streitschlichtungskammer (CRL) gefordert und zugesprochen wurde. Bestätigt wurde diese Entscheidung im Jahr 2016 durch den Internationalen Sportgerichtshof (CAS).

Aufgrund des Art. 17 FIFA-RSTP gestaltete sich hingegen die Suche nach einem neuen Verein unverhältnismäßig schwer, wodurch Diarra selbst eine Entschädigung in Höhe von 6 Mio. Euro verlangte. Konkret besagte Art. 17 FIFA-RSTP, dass bei einer Vertragsauflösung ohne wichtigen Grund vom neuen Verein eine Entschädigung an den alten Verein zu leisten ist und zudem neben dem Berufsspieler ein neuer Verein gesamtschuldnerisch für die Zahlung haftet. In Art. 17 Abs 4 FIFA-RSTP wurde dies mit der Vermutungsregelung erweitert, dass der neue Verein, sofern nicht das Gegenteil bewiesen werden konnte, den Berufsspieler zur einseitigen Vertragsauflösung angestiftet hat. Sanktioniert wurde dies neben finanziellen Einbußen mit einem zweijährigen Registrierungsverbot für neue Spieler.

Folglich wurde in einem Vorabentscheidungsverfahren durch den EuGH (C-650/22) bestätigt, dass die Transferregelungen der FIFA gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 AEUV und das Kartellverbot nach Art. 101 AEUV auf unionsrechtlicher Ebene verstoßen (mehr dazu in unserem Beitrag). Die FIFA zeigte sich daraufhin bereit, die RSTP entsprechend zu adaptieren und umzugestalten, sodass diese mit dem Unionsrecht vereinbar sind. Dazu gab es vorab einen öffentlichen Aufruf, wodurch Verbesserungsvorschläge an die FIFA herangetragen werden konnten und daraus resultierend ein zwischenzeitliches Regelwerk zu den RSTP kurz vor Weihnachten veröffentlicht wurde.

Darin sind Anpassungen der Berechnung der Entschädigungen bei Vertragsbrüchen, genauso wie Änderungen zur Beweislast bezüglich der gesamtschuldnerischen Haftung für derartige Entschädigungsleistungen bei Vertragsbruch und der Verleitung zu diesem, wie im Fall Diarra dargestellt, enthalten. Zudem gehen aus dem Regelwerk angepasste Bestimmungen zu internationalen Transferzertifikaten hervor (mehr dazu in den FIFA Explanatory Notes). An einer finalen Lösung wird seitens der FIFA aktuell gearbeitet. Die Wogen rund um das Bosman-Urteil 2.0 sind daher noch lange nicht geglättet.

Mittlerweile ein wiederkehrendes Thema in der internationalen Fußballbranche und in den Jahresrückblicken sind die FIFA Football Agents Regulations (FFAR), mit denen der Weltverband gewisse Mindeststandards für Football Agents (Spielervermittler) gewährleisten und die Vereinbarkeit von deren Verhalten mit den Zielen des Transfersystems prüfen wollte. Zu diesem Zweck wurden unter anderem eine Lizenz- und Fortbildungspflicht, ein Bestellerprinzip, ein Verbot von Mehrfachvertretungen sowie Provisionsobergrenzen festgelegt. Nachdem bereits das LG Dortmund und das OLG Düsseldorf den FFAR einen Riegel vorgeschoben haben und diese Rechtssache auch an den EuGH in zwei Vorabentscheidungsersuchen herangetragen wurde, hat unter diversen Landesverbänden beispielsweise auch der ÖFB die Regelungen vorerst ausgesetzt. Daraufhin hat es ihnen die FIFA gleichgemacht und begründet, man werde die Entscheidung des EuGH abwarten.

Nun gibt es aus österreichischer Sicht insofern Neuigkeiten zu den Spielervermittlerregelungen, als dass seit 02.12.2024 ein neues nationales Reglement des ÖFB für Football Agents in Kraft ist. Berücksichtigt wurde hierfür die rechtskräftige einstweilige Verfügung des LG Dortmund (8 O 1/23 (Kart)). Das neu geschaffene ÖFB-Regelwerk soll nun also die international anwendbaren FFAR ergänzen und den österreichischen Markt für Spielervermittler regulieren. Klargestellt wurde unter anderem, dass es für die Tätigkeit eines Spielerberaters in Österreich einer FIFA-Lizenz und der Absolvierung einer Prüfung bedarf. Die Bestimmungen stehen für mehr Transparenz zugunsten der vertretenen Spieler, sehen auch einen Verhaltenskodex für Agenten vor, zudem werden exklusive Vertretungsvereinbarungen als zulässig erachtet und sind diese von anderen Spielerberatern zu berücksichtigen. Nach der weiteren Niederlage der FIFA im Instanzenzug (1. Instanz: LG Dortmund, siehe oben) vor dem OLG Düsseldorf im März 2024 (U (Kart) 2/23) stehen die zwei Entscheidungen des EuGH zu den FFAR-Vorschriften und dem DFB-Reglement für Spielervermittler allerdings noch aus und dürfen im neuen Jahr 2025 erwartet werden.

Eine EuGH-Entscheidung mit Österreich-Bezug ging hingegen bereits am 07.05.2024 über die Bühne. In jenem Rechtsfall (Rs C-115/22) wurde entschieden, dass die österreichische Unabhängige Schiedskommission (USK), welche für die Überprüfung der Entscheidungen der Österreichischen Anti-Doping Rechtskommission (ÖADR) in Anti-Doping-Verfahren zuständig ist, nicht als „Gericht“ im Sinne des Art 267 AEUV einzustufen sei (siehe unser Beitrag). Ausschlaggebend war der Faktor der fehlenden notwendigen Unabhängigkeit, da der Bundesminister für Sport eine Abbestellung der Mitglieder der USK „aus wichtigen Gründen“ erwirken kann, jedoch ohne eine gesetzliche nationale Verankerung dieser Gründe. Es besteht sohin kein Schutz vor äußerlichen Druckmitteln für die Mitglieder (mehr zum Thema Doping unter III).

Vor kurzem war aus europäischer Sicht zudem ein neues „Schmankerl“ zum Thema Super League medial im Umlauf. Wie in unserem Beitrag zu lesen war, wurde der Super League vom EuGH noch keine Zu- bzw. Absage erteilt und ist der Streit um die neue Liga der Giganten noch nicht besiegelt. Umso interessanter ist der Umstand, dass kürzlich von den Befürwortern, rund um die Agentur A22 Sports Management, ein neuer Anlauf mit einem neuen Namen gestartet wurde und bereits ein Anerkennungsvorschlag bei FIFA und UEFA eingelangt ist. Der neue paneuropäische Klubfußballwettbewerb soll unter der Bezeichnung „Unify League“ veranstaltet werden und mit den Bestimmungen der UEFA im Einklang stehen. Benannt ist sie nach einer Streaming-Plattform, die alle Spiele live zeigen soll.

Der offiziellen Gründung solle nichts im Wege stehen, da die Teilnahme offen und meritokratisch (leistungsabhängig) geregelt ist und mit dem Gesamtspielplan im Einklang steht. Neu hinter der Idee ist also ein „überarbeitetes jährliches Qualifikationssystem“. Auch hierzu wird es im Laufe des neuen Jahres Neuigkeiten geben.

II. Nationales

Gerade auf nationaler Ebene gab es außerordentlich viel sportrechtlichen Betrieb im vergangenen Jahr. Auch wenn es für den SK Rapid aktuell einen sportlichen Höhenflug zu verzeichnen gibt, blickt man schmerzlich auf die Derby-Vorfälle im Frühjahr und jüngst auf die schwere Verletzung von Guido Burgstaller als rechtlich relevante Vorkommnisse zurück.

Das Aufeinandertreffen der Wiener Vereine aus Penzing und Favoriten am 25.02.2024 bleibt wohl den meisten österreichischen Fußballfans ein Begriff. Während der SK Rapid nach über 10 Jahren wieder einen Derby-Sieg vor heimischer Kulisse feiert, werfen die Sprechgesänge in den Katakomben des Block West Fragezeichen auf. In einem veröffentlichten Video ist ersichtlich, wie einzelne Vereinsfunktionäre, Spieler und Fans beleidigende Fangesänge sowie homophobe Fangesänge in Richtung der Veilchen von sich geben (mehr dazu in unserem Beitrag).

Auf eine offizielle Entschuldigung an den FK Austria Wien folgte ein Verfahren vor dem Senat 1 der Österreichischen Fußball-Bundesliga. Zu sanktionieren waren dabei nach § 111 der ÖFB-Rechtspflegeordnung die Ehrverletzung durch die Äußerungen von SK Rapid-Geschäftsführer Sport Steffen Hofmann, die Verletzung des Fairplay-Gedankens durch Maximilian Hofmann und Niklas Hedl gemäß § 111a Abs 1 der ÖFB-Rechtspflegeordnung und der Tatbestand der Diskriminierung (herabwürdigende Äußerungen in Bezug auf die sexuelle Orientierung) durch Stefan Kulovits, Guido Burgstaller, Marco Grüll und Thorsten Schick nach § 112 Abs 1 der ÖFB-Rechtspflegeordnung.

Nach Protesterhebung gegen die Entscheidung des Senat 1 in erster Instanz wurden die verhängten Strafen in zweiter Instanz wie folgt abgeändert bzw. bestätigt: Drei-Punkte-Abzug (allesamt bedingt), Funktionssperre für zwei (Steffen Hofmann) bzw. drei (Stefan Kulovits) Monate (davon jeweils ein Monat bedingt), Sperre für sechs Pflichtspiele (Guido Burgstaller, drei davon bedingt), Sperre für fünf Pflichtspiele (Marco Grüll und Thorsten Schick, davon drei bedingt), sowie eine Sperre für drei Pflichtspiele (Maximilian Hofmann, davon zwei bedingt; Niklas Hedl, allesamt bedingt).

Nach einem weiteren Vergehen hinsichtlich sicherheitsrelevanter Aspekte war von Seiten des Strafsenats der Österreichischen Fußball-Bundesliga sogar ein unbedingter Zwei-Punkte-Abzug für die, aktuell bereits laufende, Spielzeit 2024/25 vorgesehen, der jedoch im Juli 2024 vom Ständig Neutralen Schiedsgericht zur Gänze aufgehoben wurde. Der SK Rapid hat somit seine Lehren und Konsequenzen aus den Vorfällen gezogen, wurde aber im Dezember 2024 erneut mit einem ungewöhnlichen Verletzungsschock konfrontiert.

In den frühen Morgenstunden des 14.12.2024 wurde der Rapid-Kapitän Guido Burgstaller nach einem Faustschlag durch einen 23-Jährigen dermaßen schwer verletzt, dass dieser beim Sturz auf den Boden einen Schädelbasisbruch erlitt. Die Ausfallszeit nach der Attacke in der Wiener Innenstadt wurde auf mehrere Monate geschätzt. Zum Motiv des Täters hat sich die Annahme nicht bestätigt, dass fußballbezogene Umstände relevant waren, sondern ein Streitgespräch rund um Burgstallers Begleitung der Auslöser war. Der zunächst unbekannte Täter stellte sich reumütig wenige Tage später der Exekutive und wurde in U-Haft genommen.

Aufgrund der Schwere der Verletzung wurde auch von einem möglichen verfrühten Karriereende gesprochen, kurz vor dem Jahreswechsel durfte Burgstaller das Krankenhaus verlassen und befindet sich weiterhin auf dem Genesungsweg. Der Täter wurde inzwischen aus der U-Haft entlassen, diesem steht ein Gerichtsprozess vor dem Landesgericht für Strafsachen wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB bevor. Zudem geben die Ankündigungen der gewaltbereiten grünen Fangemeinde Grund zur Sorge. Eine Entscheidung in dieser Rechtssache ist also im Jahr 2025 ausständig.

Ein mediales Update gab es auch zum Antrag auf Zuerkennung der Kollektivvertragsfähigkeit beim Bundeseinigungsamt durch die Vereinigung der Fußballer (VdF) zu verzeichnen. Nachdem der Antrag in erster Instanz abgelehnt wurde, kündigte die VdF rund um ihren Vorsitzenden Gernot Baumgartner den Schritt in die zweite Instanz an, der in weiterer Folge auch vollzogen wurde. Die Causa um die Fußballer-Gewerkschaften Younion und VdF bleibt also auch über den Jahreswechsel hinweg beim Bundesverwaltungsgericht aufrecht.

Kurios war indes ein strafrechtlicher Vorfall in Vorarlberg, der sich in der Frauen-Bundesliga ereignet hat und die Unterstützung der VdF notwendig machte. So kam es bei der Spielgemeinschaft Ladies FC Lustenau/FC Dornbirn dazu, dass ein Vereinsfunktionär im Zuge einer Besprechung Spielerinnen mit einer Schusswaffe bedrohte. Dieser wurde folglich von all seinen Aufgaben entbunden, die Aufklärung ist dabei noch im Gange. Nach dem Vorfall wurden bereits fünf Vertragsauflösungen bestätigt, auch der ÖFB wurde informiert, verzichtete allerdings aufgrund des laufenden Verfahrens auf eine Stellungnahme.

Wie einst nach dem Crash im Wiener Derby zwischen Axel Lawaree und Joey Didulica wurde 2024 auf ein Foul im Amateurfußball aufmerksam gemacht, das in Verbindung mit dem Sporthaftungsprivileg steht. Jenes besagt, dass bei der Ausübung des Sports ein gewisses Maß an sportartspezifischen Risiken, besonders im Hinblick auf Verletzungen, von allen Beteiligten in Kauf zu nehmen ist. Somit können erst ab erheblichen Regelverstößen und bei über dieses Risiko hinausgehenden Verletzungen zivilrechtliche Haftungsfälle relevant werden. Das gegenständliche Vergehen reicht bis ins Jahr 2020 zurück und beschreibt einen Zusammenprall zwischen dem Unterliga-Stürmer Amir Abdel-Hamid und dem Torhüter der gegnerischen Mannschaft. Bei diesem erlitt der Tormann eine Nasenbeinfraktur, Verletzungen an den Lippen und eine Zahnverletzung, welcher daraufhin mit einer Klage auf Schmerzengeld und Ersatz der Behandlungskosten reagierte.

Nach einem vierjährigen Hin und Her zwischen den Instanzen wurde der Stürmer von der höchsten Instanz am LG St. Pölten zu einer Schadenersatzleistung von insgesamt 22.000 Euro verpflichtet. Der Aufschrei war groß, zumal nun weitere derartige Schadenersatzklagen befürchtet wurden. Jedoch sei darauf hingewiesen, dass es sich bei derartigen Rechtsfällen um Einzelfallentscheidungen handelt und Beweiswürdigungsfragen den Ausschlag geben. Der gegenständliche Schuldspruch basierte auf den Aussagen einer Linienrichterin, die bei der Foulsituation nach ihrer Wahrnehmung Absicht des Stürmers erkannte. Durch die Beweiswürdigung zugunsten dieser Zeugenaussage griff das Sporthaftungsprivileg nicht mehr und der Stürmer hat nun zivilrechtlich zu haften.

III. Sonstiges

Abgerundet wird der vorliegende Jahresrückblick mit einer Palette an sonstigen Geschehnissen, die sich im Jahr 2024 ereignet haben:

Das vergangene Jahr hatte für Sportinteressierte ein besonderes und breit gefächertes Programm mit der Austragung der Fußball-Europameisterschaft 2024 (EM 2024) in Deutschland und den Olympischen Spielen 2024 in Paris zu bieten. Die Bezeichnung als „Super-Sportjahr“ kommt nicht von ungefähr und wurde aus heutiger Sicht verdientermaßen schon vorab vergeben.

Mit der rot-weiß-roten Brille lässt sich auf eine sehr erfolgreiche EM 2024 beim Nachbar zurückblicken, bei welcher sich die ÖFB-Elf unter der Dirigentschaft von Ralf Rangnick in der vermeintlichen „Todesgruppe“ mit Frankreich, der Niederlande und Polen zum Gruppensieger krönte und die Herzen der österreichischen Fußballfans höher schlagen ließ. Umso schmerzhafter war daraufhin das plötzliche Aus im Achtelfinale (mehr dazu unten), schien doch im Turnierbaum nach dem Gruppensieg alles möglich zu sein. Die Zeit heilte auch diese Wunde und bleibt den Sportbegeisterten eine euphorische Euro in Erinnerung.

Die Bilanz der österreichischen VertreterInnen bei den Olympischen Spielen 2024 kann sich mit zwei Gold-Medaillen und drei Bronze-Medaillen ebenfalls sehen lassen. Das vorhandene Talent konnte dabei vor allem im Wasser- und, wie erwartet, im Klettersport unter Beweis gestellt werden. Wie es auch sein sollte, stand bei beiden Großereignissen der Sport im Vordergrund, wobei folglich rechtliche Zwischenfälle beleuchtet werden sollen.

Auf der Suche nach einer sportrechtlichen Thematik bei der EM 2024 wird man ausgerechnet beim Österreich-Bezwinger Merih Demiral fündig, der mit seinem Doppelpack den Viertelfinal-Einzug der türkischen Nationalmannschaft besiegelte. Der Innenverteidiger sorgte im genannten Spiel mit dem „Wolfsgruß-Jubel“ für Kritik und wurde seitens der UEFA nach den Vorkommnissen ein Untersuchungsverfahren eingeleitet. Dieses basierte auf der verbandsrechtlichen Grundlage, dass die UEFA, vergleichbar mit der FIA im Motorsport oder höherrangig mit der FIFA hinsichtlich der Regenbogen-Debatte bei der WM 2022 in Katar, keine politischen Gesten duldet und für Neutralität einsteht (Art. 1 Abs 1 der UEFA-Statuten). Im Zuge des internen Verfahrens wurde Demiral im laufenden Wettbewerb für zwei Spiele gesperrt und verpasste in weiterer Folge das Viertelfinalspiel gegen die Niederlande.

Begründet wurde dies von der UEFA damit, dass sein Verhalten die grundlegenden Regeln des guten Benehmens verletzte und der Spieler das Sportereignis für eine Kundgebung nicht-sportlicher Art genutzt und somit den Fußballsport in Verruf gebracht habe (siehe Art. 11 Abs 1 lit. a, b, c der UEFA-Rechtspflegeordnung). Eine geplante Beantragung eines Eilverfahrens durch den türkischen Fußballverband beim Internationalen Sportgerichtshof (CAS) wurde bereits vorab durch Art. 63 Abs 1 lit. b der UEFA-Statuten ausgeschlossen, worin festgehalten wird, dass für eine Sperre von zwei Spielen keine Zuständigkeit des CAS gegeben ist.

Bei den Olympischen Spielen 2024 machte aus juristischer Sicht der Boxwettkampf bei den Damen auf sich aufmerksam. Für so manche ergab sich aus den Vorwürfen an die algerische Athletin Imane Khelif ein Deja-vu im Hinblick auf die Causa rund um Caster Semenya. Die Genderproblematik war nämlich insofern gleich geartet, dass bei Semenya der erhobene Testosteronwert deutlich über dem Durchschnitt bei den Damen lag und deshalb Wettbewerbsvorteile unterstellt wurden und bei Khelif ebenfalls ein Geschlechtertest durch die IBA im Jahr 2023 zur Disqualifikation der Sportlerin bei der Box-WM 2023 führte. Da das Internationale Olympische Komitee (IOC) nicht mehr mit der International Boxing Association (IBA) kooperiert und bei den diesjährigen Spielen selbst als Veranstalter auftrat, wurde eine Teilnahme Khelifs möglich, da ausschließlich das im Pass festgestellte Geschlecht als Voraussetzung herangezogen wurde.

Die Kritik um Khelif wurde so weit gespannt, dass sogar Gerüchte verbreitet wurden, bei der Boxerin würde es sich um eine „Transfrau“ handeln, was jedoch auch anhand ihrer Geburtsurkunde keine Bestätigung erfahren hat. Imane Khelif ließ sich trotz der heftigen Diskussionen nicht von ihrem sportlichen Höhenflug abbringen und holte schlussendlich ihre Gold-Medaille im Damen-Boxen ab.

Hinsichtlich des juristischen Erfolgs von Semenya vor dem EGMR, welcher in ihrer Rechtssache (siehe dazu unseren Beitrag aus 2019) beispielsweise Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot feststellte, wird das Geschlechterthema, die Kategorisierung von Geschlechterzugehörigkeiten sowie die Balance zwischen dem wettkampfspezifischen Fairnessgedanken und der Diskriminierung wohl auch in Zukunft weiterhin unter Beobachtung bleiben.

In diesem Jahr blieb leider die Tenniswelt nicht von klassischen sportrechtlichen Negativzeilen, die zu diversen Dopingfällen zu lesen waren, verschont. Während sich der diesjährige australische US-Open Sieger im Doppel Max Purcell freiwillig aufgrund eines Dopingvergehens durch eine erhöhte Vitamininfusion im Spital sperren ließ, geht der Dopingfall rund um die aktuelle Nummer 1 der ATP-Weltrangliste Jannik Sinner im neuen Jahr 2025 in die nächste Runde.

Sinner wurde im März zweifach positiv auf das Steroid Clostebol getestet und gab zu seiner Verteidigung ein fehlendes Verschulden sowie die unwissentliche Substanzaufnahme über die Hände seines Physiotherapeuten bei einer Behandlung an. Zunächst wurde der Weltranglistenführende von der International Tennis Integrity Agency (ITIA) freigesprochen, die World Anti Doping Agency (WADA) erhob jedoch Einspruch, womit der Dopingfall 2025 vor dem Internationalen Sportgerichtshof (CAS) in Lausanne entschieden werden soll. Im Raum steht eine Sperre von bis zu zwei Jahren, was dies für das aufstrebende italienische Talent und dessen Karriere bedeuten würde, ist wohl allen Beteiligten bewusst. Es bleibt daher gespannt abzuwarten, wie der CAS diesen Dopingfall einordnen wird.

Bei den Damen wurde hingegen inzwischen die aktuelle Nummer 2 der ATP-Weltrangliste Iga Swiatek nach einem Dopingvorfall, bei dem bei der Athletin ein verbotenes Herzmittel nachgewiesen werden konnte, für ein Monat gesperrt. Das vergleichbar geringe Strafausmaß wurde von der ITIA damit begründet, dass es sich um kein schweres Vergehen handelte. Die polnische Tennisspielerin verbüßte die Dopingsperre im Spätsommer, hatte einen Teil ihrer Preisgelder zurückzuzahlen und ist brandaktuell schon wieder beim United Cup im Einsatz.

IV. Ausblick

Der Streifzug durch das sportrechtliche Jahr 2024 hat die Vielseitigkeit der Materie Sportrecht einmal mehr unter Beweis gestellt. Wir bleiben jedenfalls dran und freuen uns auf ein spannendes Jahr 2025: Welche Änderungen bringt das Diarra-Urteil noch mit sich? Welche Auswirkungen werden die EuGH-Entscheidungen in den Rechtssachen zu den Bestimmungen der FFAR haben? Wird es zu mehr Schadenersatzklagen nach Foulspielen kommen? Wie wird sich die Genderthematik zukünftig weiterentwickeln? Welche Entscheidung trifft der CAS im Dopingfall um Jannik Sinner?

Mit diesem Ausblick wünsche ich euch ein gesundes und erfolgreiches neues Jahr – um es in Hommage an den Autor der bisherigen Jahresrückblick-Reihe Patrick Petschinka zu formulieren – bleibt am Ball!

Bild: © Shutterstock/Rawpixel.com
Stock-Illustration ID: 196831796

Mehr als Grün oder Violett – Eine Rivalität am Ende des Regenbogens

Vom Platzsturm bis Pyroshows – das ewige Duell zwischen dem SK Rapid Wien und dem FK Austria Wien schreibt schon seit einiger Zeit seine sonderbaren Geschichten, die beim neutralen Publikum nicht immer auf Verständnis stoßen. Nach einer langen Durststrecke gegen die Veilchen gelang dem SK Rapid am 25.02.2024 seit über 10 Jahren endlich wieder ein voller Erfolg in Hütteldorf und damit auch der erste Derbysieg im „neuen“ Allianz Stadion. Umso bedauerlicher ist es, dass diese sportliche Leistung des SK Rapid angesichts der Vorfälle im Anschluss an das 342. Wiener Derby nur nebensächlich in Erinnerung bleibt. Denn nach Veröffentlichung von brisanten Videos von den Feierlichkeiten der Rapid-Fans mit Funktionären und Spielern, welche beleidigende Äußerungen und homophobe Fangesänge in Richtung der Erzrivalen beinhalteten, war schnell klar, dass Konsequenzen folgen werden. Diese wurden eine Woche später, begleitet von reichlich medialem Interesse, verkündet und stießen bei der Vereinsführung des SK Rapid auf Gegenwehr.

Wie lässt sich das Ausmaß der verhängten Strafen durch den Senat 1 der Österreichischen Fußball-Bundesliga beurteilen? Und wie gelingt es nun, ein glaubwürdiges Zeichen für Vielfalt und Toleranz vom Gerhard-Hanappi-Platz aus in die österreichische Sportwelt zu senden? Pünktlich zum Ende des Grunddurchgangs und kurz nach der Entscheidung des Protestkomitees der Österreichischen Fußball-Bundesliga am vergangenen Freitag lässt LAW MEETS SPORTS die Geschehnisse nochmals Revue passieren.

Erste Frühlingsgefühle in Wien Penzing

Es sollte ein erfolgreiches Heimspiel für die Rapid-Anhänger werden, welches dem „Derby-Fluch“ im eigenen Stadion endlich ein Ende bereiten sollte. Diese Überzeugung war der Rapid-Mannschaft von Trainer Robert Klauß vor ausverkauftem Haus ab der ersten Minute anzusehen. Mit fulminantem Auftreten stellten die Grünen bereits vor der Halbzeit auf 3:0 und ließen auch in der zweiten Hälfte nichts mehr anbrennen, womit der verdiente Premierensieg eingefahren werden konnte. Der Heimerfolg gelang bei herrlichen Frühlingstemperaturen, bei welchen die Veilchen sportlich jedoch nicht aufblühen konnten. Der Nachmittag war geprägt von einer einzigartigen Atmosphäre beider Fanlager, die sowohl im Gästesektor als auch im Block West mit Choreografien und Bengalos ihre Mannschaften auf dem Rasen vorantrieben. Nach dem Schlusspfiff feierten die Rapid-Fans gemeinsam mit dem Team den Sieg – doch damit nicht genug.

Ein Video kommt selten allein

Bereits einen Tag nach dem Wiener Derby kursierte im Laufe des Vormittags auf Social Media ein Video von SK Rapid-Geschäftsführer Steffen Hofmann, welches diesen mit einem Megafon vor versammelter Fangemeinde in den Katakomben des Block West neben Verteidiger Maximilian Hofmann stehend zeigte. Unter dem Jubel der Fans sprach der Funktionär Folgendes ins Megafon: „Ich bin sehr froh, dass wir alle da sind. Leider Gottes, haben wir es nicht geschafft in der zweiten Halbzeit, die ‚Oaschlecha‘ so richtig abzuschießen!“. Dieser verbale Angriff galt als Grußbotschaft an die Mannschaft vom Verteilerkreis aus Favoriten, die sich im Derby geschlagen geben musste. Diese Äußerung blieb aber nicht die einzige, die für Schlagzeilen sorgte. Denn kurze Zeit später wurde ein weiteres Video geleaked, in welchem neben Co-Trainer Stefan Kulovits auch Kapitän Guido Burgstaller, Marco Grüll, Thorsten Schick und Niklas Hedl zu sehen waren. Einem Fangesang folgend, brüllte Stefan Kulovits mehrmals Folgendes in ein Megafon: „Wir sind keine ‚oaschwormen‘ Veilchen!“. Diese homophoben Zeilen an den Erzrivalen wurden von den anwesenden Spielern des SK Rapid ebenfalls lauthals in die Menge geschrien und von der Anhängerschaft der Hütteldorfer frenetisch gefeiert.

Die Reaktionen auf die verbalen Entgleisungen ließen nicht lange auf sich warten und der SK Rapid brachte sich damit um seine eigenen sportlichen Lorbeeren, zumal der Heimsieg abrupt in den Hintergrund gerückt ist. Steffen Hofmann bezog in einem holprig formulierten Statement Stellung, wonach die Worte nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, aber unabhängig davon unpassend gewesen seien. Außerdem nahm er auch bereits am Montag nach den Vorfällen Kontakt zum FK Austria Wien in Person von Sportdirektor Manuel Ortlechner auf. Dabei entschuldigte er sich für seine Wortwahl und zeigte sich einsichtig, dass diese Wortmeldung bei aller Rivalität unangebracht gewesen sei. Die besungenen Veilchen nahmen dies zur Kenntnis. Jene reumütige Ansicht des Geschäftsführers vertraten auch weitere Beteiligte, die sich ebenfalls in den sozialen Netzwerken für ihr Verhalten entschuldigten. Am Dienstag folgte ein offizielles Statement des Vereins, in welchem sich zusätzlich der Präsident Alexander Wrabetz und die Vizepräsidentin Edeltraud Hanappi-Egger zu Wort meldeten. Darin wurden die homophoben Äußerungen aufs Schärfste verurteilt und auf die Werte sowie das Leitbild des Klubs aufmerksam gemacht.

Das Gesagte konnte damit jedoch nicht rückgängig gemacht werden und die mediale Aufmerksamkeit nahm rasant zu. Während ÖFB-Präsident Klaus Mitterndorfer und Sportminister Werner Kogler mit berechtigter Kritik aufhorchen ließen, eröffnete die Österreichische Fußball-Bundesliga am Dienstag das Verfahren gegen Steffen Hofmann sowie den SK Rapid und dessen beteiligte Spieler und Co-Trainer. Es wurde beim Senat 1 Anzeige gegen sämtliche Beteiligte erstattet und den Beteiligten die Möglichkeit einer Stellungnahme eingeräumt.

Was sieht der Regulator in solchen Situationen vor?

Aus juristischer Sicht verstößt das Verhalten der Funktionäre und Spieler des SK Rapid gegen die ÖFB-Rechtspflegeordnung. Im Speziellen werden dabei die in Teil 6 unter den besonderen Bestimmungen für die Strafausschüsse in Kapitel II angeführten Tatbestände bezüglich „Ehrverletzung, Fairnessgebot und Diskriminierung“ herangezogen.

Für die Beleidigung des SK Rapid-Geschäftsführers Steffen Hofmann wird die Ehrverletzung iSd § 111 der ÖFB-Rechtspflegeordnung tragend, für welchen als „Offiziellen“ Abs 2 Anwendung findet:

  • (1) Wer insbesondere durch beleidigende Gesten oder Äußerungen eine andere Person in ihrer Ehre verletzt, wird mit einer Sperre von 2 bis 12 Pflichtspielen bestraft. Zusätzlich kann eine Geldstrafe von € 50,– bis € 2.000,– verhängt werden.
  • (2) Offizielle, die ein Vergehen nach Abs. 1 begehen, werden mit einer Funktionssperre von 1 bis 6 Monaten und/oder einer Geldstrafe von € 100,– bis € 2.000,– bestraft.

Eine Verletzung des Fairplay-Gedankens kommt für die Spieler Maximilian Hofmann und Niklas Hedl in Frage, welche in den veröffentlichten Videos zu sehen sind, hinsichtlich ihrer Teilnahme am Geschehen aber zurückhaltender agierten als ihre Mitspieler. Ihnen kann daher § 111a Abs 1 der ÖFB-Rechtspflegeordnung zur Last gelegt werden:

  • (1) Wer gegen die Prinzipien des Fairplay bzw. der Sportlichkeit verstößt, kann, sofern dieses Vergehen nicht einen anderen Tatbestand erfüllt, mit folgenden Sanktionen bestraft werden:
  • a) Ermahnung;
  • b) Sperre von 1 bis 12 Pflichtspielen;
  • c) Funktionssperre von einem Monat bis einem Jahr;
  • d) Geldstrafe von € 50,- bis zu € 15.000,-;
  • e) Austragung eines oder mehrerer Spiele unter Ausschluss eines Teiles oder der gesamten Öffentlichkeit;
  • f) Abzug von Punkten;
  • g) Wettbewerbsausschluss;
  • h) Zwangsabstieg;
  • i) Ausschluss aus dem Verband.

Zu guter Letzt ist auf den Tatbestand der Diskriminierung hinzuweisen, welcher durch die homophoben Sprechchöre hinsichtlich herabwürdigender Äußerungen in Bezug auf sexuelle Orientierung von Co-Trainer Stefan Kulovits und den Spielern Guido Burgstaller, Marco Grüll und Thorsten Schick sowie den SK Rapid als Klub verwirklicht wurde. Während für die Spieler und den Co-Trainer § 112 Abs 1 gilt, ist auf den Klub § 112 Abs 2 der ÖFB-Rechtspflegeordnung anwendbar:

  • (1) Wer eine Person oder eine Gruppe von Personen durch herabwürdigende, diskriminierende oder verunglimpfende Äußerungen oder Handlungen (in welcher Form auch immer) in Bezug auf Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, Geschlecht, Behinderung, sexuelle Orientierung, ethnische, nationale oder soziale Herkunft, politische Meinung oder aus sonstigen Gründen in seiner bzw. ihrer Würde oder Integrität verletzt, wird für mindestens 5 Pflichtspiele gesperrt bzw. erhält eine entsprechende Funktionssperre. Zusätzlich können ein Stadionverbot und/oder eine Geldstrafe in der Höhe von mindestens € 1.000,– verhängt werden. Bei einem Offiziellen, der sich dieses Vergehens schuldig macht, beträgt die Geldstrafe mindestens € 1.500,-.
  • (2) Verletzen mehrere Personen (Offizielle und/oder Spieler) desselben Vereines Abs. 1 oder liegen anderweitige gravierende Umstände vor, können der betreffenden Mannschaft bei einem ersten Vergehen drei Punkte und bei einem zweiten Vergehen sechs Punkte abgezogen werden; bei einem weiteren Vergehen kann ein Zwangsabstieg ausgesprochen werden. In Spielen ohne Punktevergabe wird die entsprechende Mannschaft, sofern zuordenbar, vom Bewerb ausgeschlossen.

Aus dieser Bestimmung könnte zudem auch Abs 5 von Bedeutung sein (mehr dazu unten), wo es heißt:

  • (5) Die genannten Sanktionen können im Bedarfsfall mit spezifischen Maßnahmen verbunden werden, die geeignet sind, diskriminierendem Verhalten entgegenzuwirken.

Die Zahlen & Fakten zur Entscheidung

Nach einer ausführlichen Stellungnahme des Klubs und der Präsentation eines Maßnahmenkatalogs des SK Rapid folgte am 04.03.2024, also etwas mehr als eine Woche nach den Vorfällen, die Entscheidung des Senat 1 der Österreichischen Fußball-Bundesliga, welcher in erster Instanz folgende Strafen verhängte:

SK Rapid                           Abzug von drei Punkten (allesamt bedingt)

Steffen Hofmann               Funktionssperre für zwei Monate (davon ein Monat bedingt)

Stefan Kulovits                  Funktionssperre für drei Monate (davon ein Monat bedingt)

Guido Burgstaller              Sperre für sechs Pflichtspiele (davon drei Spiele bedingt)

Marco Grüll                       Sperre für sechs Pflichtspiele (davon drei Spiele bedingt)

Thorsten Schick                Sperre für fünf Pflichtspiele (davon drei Spiele bedingt)

Maximilian Hofmann         Sperre für drei Pflichtspiele (davon zwei Spiele bedingt)

Niklas Hedl                       Sperre für drei Pflichtspiele (davon zwei Spiele bedingt)

Alle Spieler sowie der Co-Trainer sind zusätzlich dazu verpflichtet worden, an weiterbildenden Workshops zum Thema Diskriminierung teilzunehmen (drei Workshops zu jeweils 60 Minuten in den nächsten 12 Monaten).

Aus der Entscheidung des Senat 1 folgt, dass die Spieler Maximilian Hofmann und Niklas Hedl zunächst jeweils für ein Spiel, Thorsten Schick für zwei Spiele sowie Marco Grüll und Guido Burgstaller für jeweils drei Spiele nicht im Kader des SK Rapid aufscheinen und ihrer Mannschaft allesamt im wichtigen Kampf um die Meistergruppe im letzten Spiel gegen den SK Austria Klagenfurt nicht zur Verfügung stehen sollten. Diese Strafen wurden nämlich unbedingt ausgesprochen und sind sofort ohne aufschiebende Wirkung zu verbüßen. Die bedingten Anteile der Strafen werden ihnen nachgesehen und kommen erst bei einem weiteren Vergehen zu tragen, wenn die Akteure bis März 2026 (24 Monate) abermals gegen die ÖFB-Rechtspflegeordnung verstoßen.

Zur Funktionssperre ist Folgendes festzuhalten: Steffen Hofmann und Stefan Kulovits sind durch ihre Strafen ab 30 Minuten vor Spielbeginn bis zum Schlusspfiff vom Spielbetrieb ausgeschlossen und dürfen folglich beispielsweise nicht an Aktivitäten am Spielfeldrand, im Spielertunnel, auf der Ersatzbank oder auch in der Mannschaftskabine teilhaben.

In der Begründung zur Entscheidung wurde zusammenfassend festgehalten, dass die Videoinhalte in keinerlei Einklang mit den Werten der Österreichischen Fußball-Bundesliga stehen. Die glaubhafte Darlegung, dass den Akteuren und dem Klub die Vorkommnisse sehr leidtun, wurde bei der Entscheidung jedenfalls berücksichtigt. Zudem wurde auch der vorgelegte Maßnahmenkatalog des SK Rapid und die Bereitschaft für die Workshopteilnahme als positiv beurteilt.

Die „schon sehr harten“ Strafen im Überblick

Der SK Rapid fasste das Strafausmaß bei einer außerordentlichen Pressekonferenz am Tag nach der Entscheidung in Person von Präsident Alexander Wrabetz als „schon sehr hart“ auf, vor allem hinsichtlich der Strafen für die Spieler, und verkündete zugleich, dass man Protest beim Protestkomitee einlegen werde.

Mit Blick auf die zuvor genannten §§ 111a und 112 der ÖFB-Rechtspflegeordnung kann abgewogen werden, ob es sich dabei tatsächlich um „schon sehr harte“ Strafen für die Spieler handelt oder der Senat 1 den Bestimmungen entsprechend angemessen agierte. Hinsichtlich der Spielsperren ist eben zwischen der Verletzung des Fairplay-Gedankens in § 111a und dem Tatbestand der Diskriminierung in § 112 Abs 1 zu unterscheiden. Die Vergehen der Spieler Maximilian Hofmann und Niklas Hedl wurden iSd Verletzung des Fairplay-Gedankens mit Spielsperren von jeweils 3 Partien (zwei davon bedingt) geahndet, wobei sich der Strafrahmen von 1 bis 12 Pflichtspiele bewegt und die Sperre daher noch im unteren Bereich angesiedelt ist. Für die strengere Beurteilung der Diskriminierung haben die Spieler Guido Burgstaller und Marco Grüll eine Sperre von 6 Partien und der Spieler Thorsten Schick eine Sperre von 5 Partien ausgefasst, denen allen jeweils drei Spiele bedingt nachgesehen wurden. Wenn hier die Bestimmung genau unter die Lupe genommen wird, liegt das Mindeststrafausmaß bei 5 Spielen und bewegt sich dahingehend eindeutig im untersten Bereich. Inwiefern die Sperren also „schon sehr hart“ sind, darf demnach jede/r Leser/in für sich beantworten.

Die Strafen für den Klub, Geschäftsführer Steffen Hofmann und Co-Trainer Stefan Kulovits wurden vom Präsidenten nicht explizit als unangemessen beurteilt. Hierbei orientierte sich der Senat 1 ebenso am Mindestmaß, indem er für das erste Vergehen einen bedingten Drei-Punkte-Abzug nach § 112 Abs 2 aussprach und sich die Funktionssperren ebenso am unteren Limit des Strafrahmens (laut § 111 Abs 2 von 1 bis 6 Monate) bei Hofmanns zweimonatiger Abwesenheit (davon ein Monat bedingt) und Kulovits dreimonatiger Sperre (davon ein Monat bedingt), im Vergleichsmaßstab zu einer Mindestsperre eines vergleichbaren Spielers von 5 Pflichtspielen, bewegen. Die Absolvierung der Workshops für Spieler und Co-Trainer gründen auf § 112 Abs 5 der ÖFB-Rechtspflegeordnung und wurden nach freiem Ermessen als spezifische Maßnahmen angeordnet.

Einen ähnlichen Diskriminierungsvorfall im September 2023 in Frankreich, bei welchem die Spieler Dembele, Hakimi, Kolo Muani und Kurzawa von Paris Saint-Germain nach homophoben Fangesängen auf dem Spielfeld für jeweils ein Spiel bedingt gesperrt wurden, zog Präsident Alexander Wrabetz zwar in der Pressekonferenz zur Gegenüberstellung heran, ist aber aufgrund der unterschiedlichen Rechtslage in Österreich und Frankreich nur bedingt vergleichbar. In diesem Sinne könnte laut Aussage vom Vorstandsvorsitzenden der Österreichischen Fußball-Bundesliga Christian Ebenbauer genauso argumentiert werden, dass in den FIFA-Regularien für derartige Tatbestände, beispielsweise bei einer Fußball-WM, Sperren im Ausmaß von 10 Spielen in Betracht kommen. Wir bleiben bezüglich der Vorfälle nach dem Wiener Derby aber bei den Bestimmungen des österreichischen Regulators und in diesem Bereich gibt es bislang keine Vergleichsfälle zu verzeichnen.

Abmilderung in der Verlängerung

Nun folgte nach Protesterhebung die Entscheidung des Protestkomitees am vergangenen Freitag, wodurch die Strafen in zweiter Instanz wie folgt abgeändert wurden:

Marco Grüll                    Sperre für fünf Pflichtspiele (davon drei bedingt)

Niklas Hedl                     Sperre für drei Pflichtspiele (allesamt bedingt)

Die Strafen der restlichen Beteiligten wurden vollumfänglich bestätigt. Durch die Abmilderung der beiden Strafen ergibt sich daraus nun der Umstand, dass Stammtorhüter Niklas Hedl beim abschließenden Entscheidungsspiel um die Meistergruppe spielberechtigt war und Marco Grüll nur zwei anstatt drei Spiele nicht bestreiten darf.

Begründet wurde diese Entscheidung in zweierlei Hinsicht: Erstens kam dem Spieler Marco Grüll der Vergleich mit seinem Kapitän zugute, weil dessen besondere Rolle und Vorbildwirkung strengere Maßnahmen erfordern. Andererseits wurde bei Torhüter Niklas Hedl sein „junges Alter“ berücksichtigt, genauso wie die Tatsache, dass dieser in den veröffentlichten Videos am wenigsten aktiv beteiligt war.

Somit profitierte der SK Rapid durchaus von der Protesterhebung, eine Fortsetzung in dritter Instanz vor dem Rechtsmittelsenat zeichnet sich als eher unwahrscheinlich ab.

Letzten Sonntag gastierte der SK Rapid sodann ohne die Leistungsträger Kapitän Guido Burgstaller und Marco Grüll in Klagenfurt. Demgegenüber konnte Stammtorhüter Niklas Hedl durch die Abänderung seiner Strafe zwischen den Pfosten stehen und hielt gegen den SK Austria Klagenfurt mit wichtigen Paraden das Unentschieden fest. Dieses Ergebnis sicherte beiden Teams die Teilnahme an der Meistergruppe und ließ den FK Austria Wien trotz Heimerfolgs in der Qualifikationsgruppe zurück. Fürs Erste konnte also die Meistergruppenqualifikation von einer sehr jungen Mannschaft über die Ziellinie gerettet werden. Wie sich die Strafen für den SK Rapid nach der Punkteteilung und Neuauslosung bei den kommenden Begegnungen mit dem LASK und dem TSV Hartberg auswirken, wird sich erst zeigen. Aber spätestens beim schwierigen Auswärtsspiel am 07.04.2024 gegen Spitzenreiter Red Bull Salzburg stehen den Hütteldorfern wieder alle Kräfte auf Spielerseite zur Verfügung.

Zeit für ein Umdenken

Abseits des juristischen Blickwinkels hat sich anhand dieser Vorfälle gezeigt, welche Problemzonen der österreichische Fußball generell zu bewältigen hat und welche Grenzen der Fankultur zu setzen sind. Denn neben den diskriminierenden Fangesängen macht dem Klub neuerdings auch ein unbedingter Zwei-Punkte-Abzug für die Spielzeit 2024/25 zu schaffen, welcher auf sicherheitsrelevante Aspekte und die missbräuchliche Verwendung von Pyrotechnik in der Fanszene zurückgeht. Der SK Rapid hat folglich mit einem Imageschaden zu kämpfen und musste sich bereits von seinem Premiumpartner MVC Motors verabschieden, welcher die Zusammenarbeit nach den Vorkommnissen beim Derby mit sofortiger Wirkung beendete. Zudem gab es viel Gegenwind für den beteiligten Marco Grüll, welcher im Sommer zum SV Werder Bremen wechseln wird und dort bereits vorab den Unmut der Fans abbekommt.

Für Marco Grüll, Guido Burgstaller und Niklas Hedl hat der Auftritt ein weiteres Nachspiel: Sie wurden von ÖFB-Teamchef Ralf Rangnick nicht im Kaderaufgebot für die kommenden Länderspiele berücksichtigt, sodass auch der Traum von der EM 2024 für diese Spieler zu platzen droht. Ein neu aufgetauchtes Video aus dem grünen VIP-Klub mit anderen Beleidigungen wird laut Senat 1 für die Spieler keine weiteren Wellen schlagen, da die Vergehen von Grüll, Hedl und Schick bereits abgeurteilt wurden.

Das Bild, welches alle Beteiligten durch diesen Vorfall abgeben, hat enormen Einfluss auf deren Vorbildwirkung. Dass sich Vereinsverantwortliche in den höchsten Positionen dazu verleiten lassen, solche Bemerkungen von sich zu geben, hat es in dieser Form im österreichischen Fußball noch nicht gegeben und stellt nicht zuletzt berechtigte Fragen bezüglich Professionalität und Gesamteindruck eines Klubs. Zudem orientieren sich viele Fans, vor allem in jungen Jahren, an den Idolen, denen sie im Stadion zujubeln. Genau diese werden mit solchen Aktionen bitter enttäuscht, wenn die Profisportler ihre Vorbildfunktion derart missachten. Da ist der Frauenfußball dem Männerfußball um einiges voraus, wo sexuelle Orientierung als Tabuthema schon lange der Vergangenheit angehört und stets für Toleranz eingestanden wird.

Ja, der Fußball lebt von seinen Emotionen. Ja, der Fußball braucht seine traditionsreichen Duelle. Und ja, der Fußball zeichnet sich durch seine Vielfalt und seine besondere Fähigkeit, Menschen zu verbinden, aus. Genau deshalb sind diskriminierende Äußerungen, wie sie nach dem Wiener Derby gefallen sind, absolut fehl am Platz. Natürlich gab es Entschuldigungen und in denen wurde darauf verwiesen, dass die wahre Intention hinter den Sprechgesängen nicht tatsächlich auf homophobe Einstellungen hinweist. Dadurch eine Verharmlosung der Situation zu bewirken, kann aber nicht die logische Konsequenz sein. Vielleicht kann die Österreichische Fußball-Bundesliga die Derby-Causa als Präzedenzfall für die Zukunft nutzen und als klares Zeichen für ein Umdenken heranziehen. Dann kann es gelingen, dass in den gegenüberstehenden Fanlagern nicht mehr alles nur mit grüner oder violetter Brille gesehen wird, sondern auch weitere Farben des Regenbogens sichtbar gemacht werden.

Bild: © Shutterstock/Andrekart Photography
Stock-Foto ID: 171801584

Investorenbeteiligung vs. deutsche Fanszene – Hintergründe, Probleme und Ergebnis

Gastbeitrag von Benedikt Winkler (Universitätsassistent am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien)

Tennisbälle, Schokomünzen, ferngesteuerte Autos und Flugzeuge: Was verbindet diese Dinge? Auf den ersten Blick nicht viel, außer, dass sie höchstwahrscheinlich viele Kinderaugen zum Leuchten bringen würden. Einen Vorteil bei der Beantwortung dieser Frage haben aufmerksame Zuschauer der Deutschen Fußball Bundesliga. So wurden bereits sämtliche dieser Dinge als Protestmittel gegen eine Investorenbeteiligung im Zusammenhang mit der Deutschen Fußballiga (DFL) eingesetzt, um ihrem Anliegen Aufmerksamkeit zu verschaffen. Doch worum geht es hier eigentlich genau und warum wirft all dies ein neues Licht auf die 50+1 Regel?

Investor als Heilsbringer für die DFL?

Es ist nichts Neues, dass Geld und die Steigerung des Umsatzes einen bedeutenden Platz in der Fußballwelt einnehmen; ebenso wenig neu ist die Ablehnung, die einige Fans dem entgegenbringen. Ein Großteil des an die Vereine fließenden Geldes wird durch die Vermarktung von Übertragungsrechten erwirtschaftet. In Deutschland obliegt die Vermarktung der Rechte an Bundesliga und 2. Bundesliga der DFL GmbH, welche wiederum die operativen Geschäfte ihres Alleingesellschafters – dem DFL e.V. – ausübt. Mitglieder im DFL e.V. sind all jene 36 Fußballvereine, die einer der beiden obersten deutschen Spielklassen angehören.

Auslöser der gegenständlichen Problematik ist das Bestreben der DFL, neue internationale Märkte zu erschließen und eine neue digitale Plattform aufzubauen, um dadurch die erwirtschafteten Umsätze der DFL zu stärken. Das dafür benötigte Geld soll durch einen Investor akquiriert werden, konkret soll es um eine Milliarde Euro gehen. Als Gegenzug wird dieser „strategische Partner“ an bis zu 8 % der Erlöse der neu zu gründenden DFL MediaCo GmbH & Co. KGaA beteiligt, deren Kernaufgabe die Vermarktung der Medienrechte und zentraler Sponsoring und Lizenzrechte der Bundesliga sowie der 2. Bundesliga sein soll. Präventiv wurden dafür einige unverhandelbare Punkte für die DFL festgelegt, darunter etwa: kein Verkauf von Anteilen am DFL e.V. oder der DFL GmbH, sondern eine zeitlich beschränkte Beteiligung an Lizenzerlösen; dem Investor kommt auch kein Mitspracherecht bei der Festlegung der Spielplanung (Stichwort: Ansetzung von Pflichtspielen im Ausland) und Anstoßzeiten zu. Die Frage, ob der Geschäftsführung des DFL e.V. das Mandat zum Abschluss dieses Geschäftes erteilt wird, wurde am 11.12.2023 einer Abstimmung durch alle Mitgliedervereine unterzogen.

Die Kritikpunkte

Der Unmut der Fans stützt sich auf eine Vielzahl an Gründen, die sich grob in drei Themengebiete unterscheiden lassen: Erstens werden generell das Konzept des Einstiegs eines Investors sowie die dahinter liegenden Gründen abgelehnt (Stichwort: Kommerzialisierung des Fußballs). So wird generell die Notwendigkeit einer Digitalisierung und Internationalisierung der deutschen Fußballigen in Frage gestellt und die Befürchtung geäußert, dass ein Investor – trotz der oben angeführten unverhandelbaren Punkte – dennoch großen Einfluss auf die zukünftige Gestaltung der Ligen nehmen kann. Zweitens richtet sich die Kritik gegen die potenziellen Investoren selbst und dabei vor allem gegen die Herkunft des dahinterstehenden Geldes (einzig verbleibender Verhandlungspartner war nunmehr das Private-Equity-Unternehmen CVC, nachdem sich Blackstone zurückgezogen hat). Hinter CVC steht unter anderem der Staatsfond Saudi-Arabiens und somit das Kapital eines Landes, welches immer wieder in starker Kritik wegen Verstößen gegen die Menschenrechte steht. Drittens besteht große Missbilligung an der Durchführung der Abstimmung des DFL e.V. selbst. So wird insbesondere die Durchführung einer geheimen Abstimmung an sich sowie die Stimme von Martin Kind als Aushöhlung der 50+1-Regel bemängelt. Im Ergebnis mündeten all diese Punkte in die Protestaktionen vieler Fanszenen.

Eine „geheime“ Abstimmung mit Nachspiel

Auf Antrag eines Präsidiumsmitgliedes wurde – obwohl dies grundsätzlich gemäß § 28 Abs 1 Satzung DFL e.V. (alle weiteren § beziehen sich auf dieses Satzung) nur für Wahlen vorgesehen ist – geheim abgestimmt. Nichtsdestotrotz konnte durch nachgehende Äußerungen von Vereinen deren Stimmverhalten mit großer Wahrscheinlichkeit eruiert werden, wodurch sich folgendes Ergebnis abzeichnete: 24 zu 10 Stimmen für einen Investor bei zwei Enthaltungen. Damit galt das Mandat als erteilt. Für das Zustandekommen eines Beschlusses gemäß § 27 Abs 2 genügt nämlich grundsätzlich die einfache Mehrheit der gültig abgegebenen Stimmen bei Anwesenheit von zumindest der Hälfte der Mitgliedervereine. Für den Erfolg der hier interessierenden Abstimmung bedarf es in Abkehr davon jedoch nach § 25 Abs 2 lit g explizit einer Zweidrittelmehrheit der gültig abgegebenen Stimmen.

Bereits auf einem ersten Blick in die DFL-Statuten offenbart sich folgende Unstimmigkeit: Im Widerspruch zum Erfordernis, dass die Stimmen „gültig abgegeben“ sein müssen, hält § 27 Abs 6 generell für Beschlussfassungen mit qualifizierter Mehrheit fest: „[…] ungültige Stimmzettel [gelten] als abgegebene Stimmen“. Dieser Konstruktion ist eine semantische Eigentümlichkeit immanent, welche sich bei genauerer Betrachtung verdeutlicht. So normiert § 27 Abs 6 zwar die Fiktion einer abgegebenen Stimme; ob diese aber als „gültig“ iSd § 25 Abs 2 lit g zu sehen ist, kann bezweifelt werden. Im Endeffekt kann die Lösung dieses Problems nur mittels Interpretation erfolgen. Aus systematischen Gründen sprechen gute Punkte dafür, das Wort „gültig“ in § 25 Abs 2 lit g iVm § 27 Abs 6 zu lesen und somit auch eigentlich ungültig abgegebene Stimmen als Votum gegen den Beschluss zu zählen.

Ein wichtiger Puzzlestein für das Verständnis des Unmutes der Fans ist die abgegebene Stimme des Hannover 96 Geschäftsführers Martin Kind. Freilich wurden diese geheim abgegeben, dennoch kann aus dem offengelegten Stimmverhalten anderer Clubs geschlussfolgert werden, dass er aller Voraussicht nach für die Erteilung des Mandates gestimmt hat. Aus zweierlei Gründen hat die Stimme Brisanz: Erstens war – den deutschen Medien zufolge – die Stimme das Zündleien an der Waage, um die notwendige Stimmenmehrheit (24 von 36) zu erlangen. Zweitens votierte er gegen die ausdrückliche Weisung des Hannover 96 e.V. mit „Nein“ zu stimmen, was möglicherweise einer Verletzung der 50+1-Regel gleichkommt.

Warum das Gros der deutschen Medien, wie etwa die Sportschau, davon ausgeht, dass 24 positive Stimmen für das Zustandekommen des Beschlusses erforderlich sind, ist nicht vollends verständlich. Eine detaillierte Analyse des Wahlvorganges kann an dieser Stelle aufgrund der Intransparenz der Wahl nicht durchgeführt werden. Dennoch offenbart sich eine spannende Konstellation im Zusammenhang mit der nach außen getragenen Stimmenthaltung zweier Vereine, die zumindest Fragen aufwirft. Folgt man den obigen Ausführungen, werden sämtliche abgegebenen Stimmen (egal ob gültig oder ungültig) zusammengerechnet und innerhalb dieser müssen zwei Drittel dem Beschluss zustimmen; wenn sämtliche Vereine von ihrem Stimmrecht Gebrauch machen folglich 24 von 36 Zustimmungen. Für die konkrete Beschlussfassung enthielten sich jedoch zwei Vereine ihrer Stimme. Dies als „ungültigen Stimmzettel“ iSd § 27 Abs 6 zu sehen, überschreitet wohl den äußerst möglichen Wortsinn und somit verringert sich die absolute Zahl der abgegebenen Stimmen. Für die geforderte Mehrheit bedarf es demnach „nur“ 23 von 34 Stimmen, was im Ergebnis bedeutet, dass die Stimme von Martin Kind kein ausschlaggebender Faktor war, ganz anders als in vielen deutschen Medien berichtet wird. Aus Mangel der Veröffentlichung der offiziellen Ergebnisse handelt es sich hierbei freilich nur um Mutmaßungen, möglich wäre auch, dass die beiden Vereine einen leeren Stimmzettel abgegeben haben, sodass dies einer Gegenstimme gleichkommen würde. In einem solchen Fall von einer „Enthaltung“ zu sprechen, scheint jedoch widersprüchlich. Am Ergebnis ändert diese jedenfalls nichts und somit wurde die Tür für eine Investorenbeteiligung geöffnet.

50+1 erneut auf dem Prüfstand

Das potenziell weisungswidrige Stimmverhalten von Martin Kind könnte zudem weitreichende Folgen für die Organisation des deutschen Profifußballs nach sich ziehen. So gilt in Deutschland – als einzige der europäische Top 5 Ligen – die 50+1 Regel (siehe dazu bereits folgenden LMS-Beitrag): Gemäß § 8 Abs 3 muss der Mutterverein in der Regel die Mehrheit der Stimmrechte an jener Kapitalgesellschaft halten, in welche die Profi-Fußballabteilung ausgegliedert wird. Das Präsidium der DFL hat jedoch die Befugnis, von dieser Regel abzuweichen, insbesondere wenn ein Investor den Fußballsport des Muttervereins über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren kontinuierlich und signifikant unterstützt hat. Derartige Ausnahmen wurden für Bayer Leverkusen, VfL Wolfsburg und die TSG Hoffenheim erteilt (wobei letztere mittlerweile wieder die Vorgaben der 50+1 Regel erfüllt, nachdem der ehemalige Mehrheitseigentümer Dietmar Hopp die Stimmrechtsmehrheit an den Verein rückübertragen hat).

Die Vereinbarkeit dieser Regelung mit dem Kartellrecht ist Gegenstand eines langandauernden Verfahrens vor dem Bundeskartellamt. Als kartellrechtlich problematisch wurde dabei bislang nicht die 50+1 Regel per se, sondern die Möglichkeit der Gewährung von Ausnahmen gesehen. Die DFL sagte in diesem Zusammenhang die Streichung dieses Satzungsteiles zu; der Abschluss des kartellrechtlichen Verfahrens galt nur mehr als Formsache. Die aktuellen Entwicklungen bringen jedoch frischen Wind in die Angelegenheit und das Bundeskartellamt möchte die Bestimmung einer Revaluation unterziehen. Dabei führt es die erst kürzlich ergangenen Urteile des EuGH (C-333/21, „European Superleague Company u.a.“; C-124/21, „ISU“; C-680/21, „Royal Antwerp Football Club“) an, welche die Rahmenbedingungen für das Verhältnis zwischen Verbandsregeln und Wettbewerbsrecht verdeutlichen. Demnach haben Verbandsregeln transparent, objektiv, präzise und nicht diskriminierend gestaltet zu sein, was sich auch in ihrer praktischen Anwendung zeigen muss (siehe dazu folgenden LMS-Beitrag). So war die Gefahr der weisungswidrigen Stimmabgabe dem DFL-Präsidium zwar bekannt, Präventivmaßnahmen wurde jedoch keine gesetzt; eher wurde dies sogar durch die geheime Abstimmung begünstigt. Die 50+1 Regel könnte vor diesem Hintergrund als reine „pro forma“-Reglung und damit als wettbewerbswidrig eingestuft werden.

Die Macht der Fans

Die Rückendeckung der Vereine dürfte der DFL mittlerweile fehlen. So räumt Hans-Joachim Watzke (Sprecher des DFL-Präsidiums) nach Durchführung einer außerordentlichen Präsidiumssitzung am 21.2.2024 ein, dass „eine erfolgreiche Fortführung des Prozesses in Anbetracht der aktuellen Entwicklungen nicht mehr möglich scheint.“ Der Investorendeal liegt damit auf Eis. Die Aufhebung des formal noch bestehenden Mandats durch die Mitgliedervereine gilt als nächster logischer Schritt. Ein weiteres Mal – nach Abschaffung der Montagsspiele – zeigt sich eindrucksvoll die Macht der deutschen Fanszene: Der Deal ist vom Tisch. Welche Schlussfolgerungen das Bundeskartellamt aus dem Geschehenen zieht, wird sich zeigen.

Bild: © Shutterstock/ Bits And Splits
Stock-Foto ID: 557830474