Schlusspfiff für Manuel Gräfe?
Mit Ablauf der Saison 2020/21 musste der Schiedsrichter Manuel Gräfe der deutschen Bundesliga den Rücken kehren. Wie er gegenüber dem Zeit Magazin bekannt gab, hätte er „gerne weitergemacht“ und könne sicherlich noch „bis 50 oder länger pfeifen“. Grund für das frühe Karriereaus ist eine Richtlinie des Deutschen Fußballbundes (DFB): Mit 47 Jahren ist für Schiedsrichter in der Bundesliga Schluss.
Ein Blick über die Grenzen…
In der österreichischen Fußball-Bundesliga bestand bis vor wenigen Jahren ebenfalls eine derartige Altersgrenze für Unparteiische. Diese lag zuletzt bei 45 Jahren. In anderen Sportarten gibt es solche Altersgrenzen in Österreich jedoch nach wie vor. Diese sind aber weitaus höher angesetzt. So darf etwa im Faustball mit bis zu 60 Jahren (in Ausnahmefällen sogar bis 63) gepfiffen werden.
Die Union of European Football Associations (UEFA) zieht für internationale Einsätze die Höchstgrenze bei 45 Jahren. Aber wie sagt man so schön? Ausnahmen bestätigen die Regel: Der Niederländer Björn Kuipers sollte eigentlich bereits bei der EM im Jahr 2020 letztmalig zum Einsatz kommen. Aufgrund der Pandemie kam es jedoch bekanntlich zur Verschiebung der EM 2020 auf 2021. So kam der nun bereits 48-jährige beim Finalspiel zwischen England und Italien zum Einsatz und erhielt einen gebührenden Abschied von der internationalen Bühne. In den Niederlanden gibt es übrigens nunmehr seit rund 20 Jahren für Fußball-Schiedsrichter keine Höchstaltersgrenze mehr. Und auch in der englischen Premier League sind über 50-jährige Schiedsrichter längst keine Seltenheit mehr.
Altersdiskriminierung?
In Deutschland ging die Saison 2020/21 pandemiebedingt weitgehend ohne Zuschauer über die Bühne. Gräfe äußerte daher den Wunsch, eine Abschiedssaison (2021/22) vor vollen Rängen anhängen zu dürfen. Doch auch dies verwehrte der DFB dem Unparteiischen und hielt selbst in einer derartigen Ausnahmesituation eisern an der Altersgrenze fest. Nur ein kleiner Trost für scheidende Schiedsrichter, wie Gräfe, dürfte ein möglicher Einsatz abseits des Rasens als Video-Assistent sein.
Doch nach Ansicht von Gräfe ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Mangels Einigung mit dem DFB hatte sich Gräfe öffentlich dazu bekannt, rechtliche Schritte einleiten zu wollen. Dies obwohl er bereits erklärte, selbst nicht mehr als Schiedsrichter tätig sein zu wollen. Nicht zuletzt aus diesem Grund steht Gräfe, seit Bekanntwerden seiner Klage vor wenigen Tagen, unter Beschuss. Er wirft dem DFB eine (unmittelbare) Diskriminierung aufgrund des Alters vor, die gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verstoße.
Das AGG macht es sich zum Ziel, Benachteiligungen unter anderem aufgrund des Alters zu verhindern oder gar zu beseitigen. Es setzt, wie sein österreichisches Pendant, das Gleichbehandlungsgesetz (GlBG), die Unionsrichtlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf um. Nach dem Urteil des Hessischen Landesarbeitsgericht (LAG Hessen) vom 15. März 2018 (Az: 9 Sa 1399/16) handle es sich bei Bundesliga-Schiedsrichtern um keine Arbeitnehmer des DFB. Der Anwendungsbereich des AGG umfasst aber auch selbstständig tätige Personen, soweit die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit betroffen sind (§ 6 Abs 3 AGG). § 2 Nr 1 AGG sieht vor, dass Benachteiligungen betreffend die Bedingungen über den Zugang zu einer selbstständigen Erwerbstätigkeit (sogenannte Zugangshürde), unter anderem aufgrund des Alters, grundsätzlich unzulässig sind.
Rechtfertigungsgründe?
Das AGG lässt aber eine unterschiedliche Behandlung aufgrund des Alters wegen beruflicher Anforderungen ausnahmsweise zu (§ 8 Abs 1 AGG). Diese ist jedoch lediglich zulässig, sofern es sich um eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung handelt, der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.
Das vermeintlich stärkste Argument seitens des DFB für eine Altersgrenze sind die körperlichen Anforderungen an die Unparteiischen in den obersten Spielklassen. Statistiken zufolge hat sich nämlich die Laufintensität in der deutschen Bundesliga in den letzten 50 Jahren fast verdreifacht. Und so legen die Feldspieler in der obersten deutschen Liga eine Distanz von bis zu über 10 Kilometer pro Spiel zurück. Damit sind nunmehr auch die Anforderungen an die körperliche Fitness der Schiedsrichter höher.
Dem hält Gräfe entgegen, dass letztlich allein die Qualität der Entscheidungen von Bedeutung sein sollte. Im Auswahlprozess würde sich ohnehin nur derjenige durchsetzen, der die – in der DFB-Schiedsrichterordnung statuierten – hohen Anforderungen erfüllen kann. Gegen eine Altersgrenze spreche laut Gräfe auch die stille Autorität routinierter Schiedsrichter gegenüber Spielern und ihre Erfahrung im Umgang mit schwierigen, oftmals spielentscheidenden Situationen.
Vor diesem Hintergrund ist fraglich, ob es dem DFB gelingt, zu belegen, dass die Altersgrenze von 47 Jahren tatsächlich erforderlich ist, um das Erfüllen der Anforderungen an einen Schiedsrichter in der deutschen Bundesliga zu gewährleisten. Insbesondere mit Blick über die deutschen Grenzen hinaus scheint dies aber ungewiss. Denn wie zahlreiche Beispiele belegen, können auch Schiedsrichter nach Überschreiten der 47-Jahres-Marke den physischen und kognitiven Anforderungen des Spitzensports gerecht werden.
Unabhängig von etwaigen beruflichen Anforderungen lässt das AGG eine unterschiedliche Behandlung aufgrund des Alters zu, sofern sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist (§ 10 S 1 AGG). Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen wiederum angemessen und erforderlich sein (§ 10 S 2 AGG). Ein solches Ziel könnte etwa die Nachwuchsförderung sein.
Der DFB gibt zu bedenken, dass junge Schiedsrichter die Möglichkeit erhalten sollen, nachrücken zu können. Auch dies erachtet Gräfe als unbegründet. Er zeigt auf, dass junge Schiedsrichter großen Druck verspüren, bereits in jungen Jahren aus der Regionalliga wegzukommen, um es noch nach oben schaffen zu können. Viele werfen aus diesem Grund bereits früh das Handtuch. Es stellt sich daher natürlich die Frage, ob es sich nicht bis zu einem gewissen Grad um ein hausgemachtes Problem des DFB handelt. Ginge man von der derzeit bestehenden, starren Altersgrenze ab, so würde man jungen Schiedsrichtern diesen Zeitdruck sicherlich nehmen.
Der deutsche Jurist und ehemalige Schiedsrichter Benjamin Keck rechnet in seinem Beitrag damit, dass die Höchstaltersgrenze in ihrer derzeitigen Form einer richterlichen Überprüfung nicht standhalten wird. Dies legen auch Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in ähnlich gelagerten Fälle nahe.
(Rechts-)Folgen
Doch welche Konsequenzen würde es nach sich ziehen, würde das zuständige Gericht die starre Altersgrenze des DFB tatsächlich kippen? Gräfe hätte einen Anspruch auf Ersatz des ihm durch die Benachteiligung entstandenen Vermögensschadens und auf eine angemessene Entschädigung. Sollte die Bestimmung im Regulativ des DFB tatsächlich gegen das AGG verstoßen, wären entweder eine Anpassung hin zu einer flexibleren Regel, ähnlich jener der UEFA, oder gar ein völliger Verzicht auf eine Altershöchstgrenze, wie dies nunmehr in Österreich der Fall ist, denkbar.
Mit Spannung erwartet werden darf, wie die Gerichte den Fall Gräfe beurteilen und ob der DFB sich letztlich doch geschlagen geben muss und seine starre Altersgrenze aufweicht, hinaufsetzt oder gar fallen lässt. LAW MEETS SPORTS bleibt dran…
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Sarah stammt ursprünglich aus Oberösterreich und ist derzeit als Universitätsassistentin (prae doc) am Institut für Österreichisches und
Europäisches Arbeitsrecht und Sozialrecht der Wirtschaftsuniversität Wien tätig. Sie ist Hobby-Sportschützin und begeisterter Fußball-Fan und beschäftigt sich insbesondere mit den arbeits- und sozialrechtlichen Aspekten des Sportrechts.