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Formel 1-Saisonstart: Kommt die Meinungsfreiheit unter die Räder?

Für alle Motorsportbegeisterten und jene, die es noch werden wollen: Es ist wieder so weit, das erste Rennwochenende der Formel 1 startet.

Das letzte Jahr hat viele Änderungen im Regulativ mit sich gebracht (siehe dazu unseren Beitrag). In dieser Saison hält sich die Anzahl der Änderungen in Grenzen, doch eine Neuheit wirbelt viel Staub auf. Dazu gleich mehr, starten wir zunächst mit einem kurzen Überblick zum Saisonstart 2023:

3 + 1 neue Fahrer

Zurück in die Boxengasse kommt ein alter Bekannter: Nico Hülkenberg. Der deutsche Fahrer startet nun für das Team Haas und nimmt damit das Cockpit von Mick Schumacher ein. Auch drei (gänzlich) neue Fahrer dürfen sich in dieser Saison beweisen. Der US-Amerikaner Logan Sargrant startet für Williams, Nyck de Vries für AlphaTauri und Oscar Piastri für das Team McLaren.

Mehr ist mehr

In der Saison 2023 scheint das Motto „weniger ist mehr“ nicht zutreffend zu sein. Ganze 23 Rennwochenenden stehen im Kalender. Das sind so viele wie noch nie zuvor. Und auch die „Sprints“ werden verdoppelt, sodass dieses Format in diesem Jahr gleich sechs Mal am Programm steht (unter anderem auch in Österreich). Dieses Jahr wird zudem auch ein Grand-Prix in Las Vegas und einer in Katar ausgetragen.

Stopp dem Chaos

Mit einer Regeländerung hinsichtlich der Startplatzstrafen nach dem Qualifying soll nun etwas mehr Ordnung einkehren. Dabei handelt es sich aber nicht unbedingt um eine Änderung, sondern vielmehr um eine Konkretisierung. Die Strafen sind nun in zwei Kategorien geteilt. Eine Strafe von bis zu 15 Plätzen wird auf das Qualifikationsergebnis angerechnet. Wenn dadurch mehrere Fahrer auf derselben Position starten würden, hat jener ohne Strafe Vorrang; bei mehreren Fahrern mit Strafe, derjenige, der das bessere Ergebnis im Qualifying erzielt hat. Bei einer Strafversetzung von mehr als 15 Plätzen startet dieser Pilot am Ende des Felds. Sollte es auch hier mehrere Piloten geben, gilt für die Reihenfolge wiederum das Ergebnis aus dem Qualifying.

Kommt die Meinungsfreiheit unter die Räder?

Und nun zu der brisanten Änderung im „International Sporting Code“ der FIA. Der neu eingefügte Artikel 12.2.1.n hat es nämlich in sich. Dieser legt nunmehr fest, dass politische, religiöse und persönliche Äußerungen oder Kommentare einen Regelverstoß darstellen. Es sei denn, es ist vorab die Genehmigung eingeholt worden.

Sowohl in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) als auch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (Resolution der UN-Generalversammlung) ist festgeschrieben, dass jede Person das Recht auf freie Meinungsäußerung (Meinungsfreiheit) hat. Die FIA hat ihren Sitz in Europa und in ihren Statuten ist auch zu lesen, dass diese den Konsultativstatus der U.N. genießt. Hier stellt sich dann manch einer gewiss die Frage, ob diese neue Regelung im Einklang mit dem Recht auf Meinungsfreiheit steht und die FIA wirklich diese Gangart wählen möchte.

Den Medienberichten ist die Unmut einer Vielzahl an Fahrern bereits klar zu entnehmen. So hat beispielsweise Lewis Hamilton verkündet, dass ihn Nichts davon abhalten werde, sich zu Dingen zu äußern, die ihm am Herzen liegen. Im Jahr 2023 wohl legitim. Das Team von Law meets Sports ist jedenfalls der Ansicht, dass sich jeder und jede selbst eine Meinung dazu bilden kann.

Es wird also nicht nur auf der Rennstrecke spannend. Wir werden auch die Entwicklungen abseits mit Spannung beobachten. In diesem Sinne: einen schönen Start ins erste Rennwochenende.

Bild: © Shutterstock/ZRyzner
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Politische Statements auf dem Rasen und der „Mündige Spieler“

„Ein mündiger Spieler soll seinen Mund aufmachen dürfen“, fordert Marc Janko in seiner Kurier-Kolumne „MARCant“. Kölns Sportchef Horst Heldt schließt sich dieser Meinung an und spricht sich für den meinungsstarken Spieler aus. Dennoch beinhalten sowohl die DFB-Spielregeln als auch die Spielbetriebsrichtlinie der Österreichischen Fußballbundesliga (ÖFBL) einen Passus, der jegliche Art von politischer Kundmache seitens der Spieler auf dem Fußballplatz rigoros verbietet. Darf ein Fußballverband die freie Meinungsäußerung in einem solchen Ausmaß einschneiden und wenn ja, sind diese Regelungen noch zeitgemäß? Eine Beleuchtung der Hintergründe aus rechtlicher Perspektive.

Das Drama um George Floyd in Minneapolis fand quer um den Erdball Verbreitung und sorgte für Entsetzen sowie hitzige und gewaltbeladene Proteste. Auch Einige Spieler der Deutschen Bundesliga nutzten die Plattform „Fußballplatz“ und gaben ihrem Unmut Raum: Ein andächtiger Kniefall des Gladbacher Stürmerstars Marcus Thuram mit eingezogenem Haupt, ein auf der Brust prangerndes Memoire unter den Trikots der Dortmunder Jadon Sancho und Achraf Hakimi: „Justice for George Floyd“, Gerechtigkeit für George Floyd. Auch der damalige Schalker Weston McKennie spielte mit Trauerflor. Eine Szenerie der Menschlichkeit, ein Einsatz für mehr Gerechtigkeit auf dieser Welt.

 

Problem dabei war jedoch, dass Regel 5 der DFB-Spielordnung im Bereich „Ausrüstung der Spieler“, eben solche politischen Äußerungen und Statements auf dem Fußballplatz verbietet. Der DFB-Kontrollausschuss war nun gefragt, den Sachverhalt zu beurteilen. Er ist gemäß § 50 der DFB-Satzung das für die Ahndung und Anklageerhebung von Regelwidrigkeiten im Rahmen der DFB-Rechtsvorschriften zuständige Organ. Trotz des klaren Regelverstoßes nach dem Wortlaut der Norm nahm er keine Ermittlungen gegen eben benannte Spieler auf. Warum? Die Begründung ist einleuchtend.

„Im konkreten Fall handelt es sich aber um gezielte Anti-Rassismus-Aktionen der Spieler, die sich damit für Werte starkmachen, für die der DFB ebenfalls steht und immer eintritt“, lässt sich der Vorsitzende des Kontrollausschusses, Anton Nachreiner, in der FAZ zitieren. Das Anprangern von Rassismus und Gewalt war zwar als Regelverstoß zu verstehen, wurde aber trotzdem als ein Starkmachen für die Grundfesten der Verfassung und der Menschlichkeit gerechtfertigt. Der Justiziar des SV Werder Bremen, Dr. Henning Hofmann, nannte das im Sportrechtspodcast „Liebling Bosman“ wunderbar vielsagend einen „verfassungsrechtlichen NoBrainer“.

Was natürlich ohne Zweifel richtig erscheint und im Sinne der grundlegenden Vernunft natürlich nicht geahndet werden durfte, gibt dennoch Raum für einige rechtliche Fragen.

Das Fundament des Verbandsrechts

In Österreich wird aus dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Vereins- und Versammlungsfreiheit in den Art. 12 StGG und 11 EMRK der Grundsatz der „Verbandsautonomie“ abgeleitet.  Selbige bedeutet im Wesentlichen, dass es Vereinen und Verbänden obliegt, ihre inneren Angelegenheiten selbstständig zu regeln. Dies umfasst natürlich primär das Recht zur eigenen Rechtsetzung sowie die dem nachgeschaltete Anwendung und Durchsetzung dieses autark geschaffenen Verbandsrechts. Das Recht zur Schaffung dieser sogenannten „Lex Sportiva“ lässt sich also als Zwischenfazit aus der Bundesverfassung ableiten. In Deutschland werden die weitgehend deckungsgleichen Prinzipien aus ähnlichen Bestimmungen abgeleitet.

Die Verbandsautonomie im Spannungsfeld zur Meinungsfreiheit

Natürlich ist bezüglich der Regelungen, welche die politische Betätigung auf dem Fußballplatz verbieten, auf das Spannungsfeld zum in den Art. 13 StGG und Art. 10 EMRK statuierten Recht auf freie Meinungsäußerung einzugehen. Problematisch erscheint aus Sicht der Spieler jedoch, dass typischerweise keine unmittelbare Wirkung der Grundrechte zwischen Privaten (Vereine/ Verbände/ Spieler) bejaht wird.

Möglicherweise kann jedoch eine gewisse Grundrechtsbindung für die Sportverbände im Wege der Generalklauseln des Zivilrechts, hier vor allem im Lichte der Sittenwidrigkeitsschranke gemäß § 879 ABGB, argumentiert werden. Dies bedürfte wohl noch genauerer Ausführung und Argumentation, allerdings kann generell von einer verstärkten Grundrechtsbindung für Verbände ausgegangen werden. Wie erwähnt, kommt Vereinsstatuten als Ausfluss der Verbandsautonomie eine dem Geltungsbereich und der Regelungsintensivität nach sehr weitreichende Regelungsbefugnis zu. Eine mittelbare Drittwirkung i.S.v. § 879 ABGB wird beispielsweise auch für Kollektivvertragsparteien bejaht. Um also eine Möglichkeit der Interessenwahrung gegenüber dieser (nichtstaatlichen) direktoralen Kraft zu schaffen, erscheint eine gewisse Bindung an die Grundrechte für Sportverbände also nur gerecht.

Allerdings kann der professionelle Sport mit all seinen Eigenheiten wohl nicht nur im strikt rechtlichen Sinne betrachtet werden. Auch eine solche Beschränkung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Meinungsfreiheit müsste insofern stärker gesellschaftspolitisch betrachtet werden. Demnach könnte den Sportverbänden bezüglich der Regelungen, welche die politische Betätigung auf dem Fußballplatz verbieten, durchaus ein legitimes Ziel unterstellt werden, das mit verhältnismäßigen Mitteln umgesetzt wird. Zum Ersten funktioniert der Sport wohl nur mit seiner weitreichenden Verbandsautonomie. Andererseits ist die Welt, in der wir leben, zunehmend stark politisch gepolt. Klare politische Verortungen sorgen häufig für einen ungeheuren medialen Aufschrei. In diesem Sinne könnten die immer wiederkehrenden stark patriotisch angehauchten Torjubel der türkischen Fußballnationalmannschaft erwähnt werden. Da der Fußball ein Milliardengeschäft ist und die Sportverbände und Vereine zunehmend hochdotierte wirtschaftliche Unternehmen sind, haben sie natürlich ein berechtigtes Interesse daran, die Politik vom Spiel fernzuhalten. Der Fußball soll eben das bleiben, was er ist: Ein Spiel. Die politische Äußerung soll deshalb überwiegend von den Verbands- und Vereinsstellen selbst ausgeübt werden. Natürlich muss hinzu gesagt werden, dass den Spielern immer noch gänzlich frei steht, ihre politische Positionierung auf Social Media und sonstwie abseits des Fußballplatzes zu äußern. Allerdings kann festgehalten werden, dass die Einschränkung der Meinungsfreiheit im Spannungsfeld zur Verbandsautonomie auch aufgrund der Eigenheiten des Sportrechts hingenommen werden muss. Ob dies nun ob der immer größeren gesellschaftlichen Bedeutung des Fußballs noch zeitgemäß ist, bietet natürlich Raum für Kritik.

Was dem „mündigen Spieler“ entgegensteht – Ein Blick in das Verbandsrecht

Die Debatte über den Passus in Regel 5 der DFB-Spielregeln in Deutschland erhitzte sich zunehmend.

„Die Ausrüstung darf keine politischen (…) Slogans, Botschaften oder Bilder aufweisen. Spieler dürfen keine Unterwäsche mit politischen (…) Slogans, Botschaften oder Bildern (…) zur Schau stellen.“

Im Weiteren findet sich in einer sogenannten Kommentierung als Auslegungshilfe die Definition einer „politischen Botschaft“ im Sinne dieser Regel wieder. Hier werden beispielsweise die Bezugnahme auf lebende oder verstorbene Personen, sowie die Bezugnahme auf nationale Regierungen ausdefiniert, was im oben geschilderten Fall in der Deutschen Bundesliga als Kritik am strukturellen Rassismus und der Polizeigewalt in den USA wohl auch mittelbar der Fall gewesen sein könnte.

Auch in Österreich lässt sich aus § 27 Spielbetriebsrichtlinie der ÖFBL eine ähnlich gelagerte Einschränkung herleiten. Im Punkt „Politische Aktionen“ wird unter Anderem die „Verbreitung oder Durchsage von politischen Parolen“ verboten. Laut dem Wörterbuch Duden wird der Begriff „politisch“ naheliegend als etwas „die Politik Betreffendes“ formuliert. Eine Regel, die an ihrem Wortlaut gemessen durchaus enger formuliert und daher auch durchaus breiter verstanden und ausgelegt werden könnte als jene in den DFB-Spielregeln.

Jedenfalls könnte man sagen, dass ein solch meinungs- und lautstarkes Plädoyer für die Black Lives Matter Bewegung auch in den österreichischen Profiligen wohl als regelwidrig im Sinne der Spielbetriebsrichtlinie anzusehen wäre.

Die mögliche Kritik an einem solchen Regelwerk

Problematisch erscheint wohl jedenfalls, dass solche Regularien in den Verbandsstatuten je nach Einzelfall sehr unterschiedlich ausgelegt werden könnten. Der DFB-Kontrollausschuss hat durch den Entschluss der Nichtaufnahme von Ermittlungen gegen Sancho und Co natürlich das einzig richtige Statement im Sinne einer wertgewandten, zeitgemäßen und menschenrechtsachtenden Rechtsanwendung gesetzt. Doch sorgt das Vorgehen womöglich für Rechtsunsicherheiten in der Zukunft.

Einige Quellen hinterfragen, ob es sinnvoll ist, einem Verbandsorgan eine solch subjektive Wertung vornehmen zu lassen. Wo kann die Grenze zwischen der wertungsmäßig erwünschten und weniger erwünschten Meinungsäußerung auf dem Fußballplatz gezogen werden?

Der Schalker Aufsichtsratsvorsitzende Clemens Tönnies war 2019 mit rassistischen Äußerungen bei seiner Festrede zum „Tag des Handwerks“ in Paderborn aufgefallen. Darf sich auch gegen so etwas stark gemacht werden? Was wäre, wenn ein Fußballspieler beim Torjubel lautstark für den Klimaschutz protestiert und dabei Kritik am russischen Ölkonzern Gazprom übt, der selbst als finanzkräftiger Sponsor in der Deutschen Fußballliga tätig ist? Wäre der Kontrollausschuss den Spielern in solch heiklen Fällen auch so wohlgesonnen?

Das scheint zwar zurzeit ein bloßes Gedankenspiel zu sein, doch könnte argumentiert werden, dass sowohl die Regel 5 der DFB-Spielregeln als auch § 27 Spielbetriebsrichtlinie der ÖFBL grundlegend reformiert werden sollten.

Womöglich wäre zur Schaffung von mehr Rechtssicherheit für Vereine und Sportler ein Abgehen von einer solch starken subjektiven Wertung des Sachverhalts denkmöglich. Umgesetzt werden kann dies beispielsweise durch Vorbehalte und Ausnahmeregelungen in den Spielregeln. Eine Generalklausel beispielsweise, die es erlaubt, dass Werte am Spielfeld vertreten werden dürfen, die verfassungsrechtliche Grundwerte betreffen oder die den Wertekonsens des jeweiligen Fußballverbandes wiederspiegeln. Sozusagen ein Verbandsrecht, das explizit den Raum schafft für „verfassungsrechtliche NoBrainer“. Nur so kann wohl dem Wunschdenken des „mündigen Spielers“ der juristisch saubere Boden unterlegt werden.

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